Warum Unternehmer Übergewinne machen

Mein Kollege András Szigetvari hat ein hochinteressantes Interview mit der Ökonomin Isabella Weber geführt. Auf einem kompetitiven Markt können Unternehmen normalerweise nicht einfach die Preise erhöhen, ohne einen Mehrwert anzubieten. Ansonsten gehen die Kund:innen einfach zum nächstbesten Anbieter. Der Energiepreisschock hat das aber auf den Kopf gestellt, sagt Weber.

Jeder Unternehmer weiß, dass auch die anderen den gleichen Kostenschock durchleben, und erwartet deshalb, dass alle mit einer Preissteigerung auf diese Situation reagieren. Also müssen Unternehmen nicht fürchten, Marktanteile an ihre Konkurrenten zu verlieren, selbst wenn sie ihre Preise erhöhen. Aber da sind noch andere Mechanismen am Werk.

Noch ein Effekt kam dazu: Wenn Konsumenten erwarten, dass die Preise steigen, kann man sie gleich noch ein bisschen mehr erhöhen, ohne sie zu verärgern.

Preissteigerungen sind Teil einer sozialen Beziehung zwischen Unternehmen und ihren Kunden. Wenn die Teuerung aus dem Nichts entsteht, dann reagieren Kunden frustriert und wandern zur Konkurrenz ab. Wenn aber die Preissteigerungen legitim erscheinen, weil man jeden Tag in den Nachrichten hört, dass die Energiekosten so stark gestiegen sind, dann verändert das die Nachfrage-Elastizität, wie Ökonomen sagen.

Ein weiterer Effekt kam dazu: Durch die Lieferkettenprobleme und die Engpässe bei Mikrochips war es für viele Unternehmer schwierig, den bisherigen Kundenstamm zu bedienen. Darum strömten sie weniger in neue Territorien aus, was den Wettbewerb senkte, so Weber: Temporäre Monopole.

Lest hier das ganze, hochinteressante Interview.

Herfried Münkler über den Umgang mit Russland

Russland leide an postimperialen Phantomschmerzen, analysiert der deutsche Politikwissenschafter Herfried Münkler. Die Ukraine sei weg, der Schmerz trotzdem noch zu spüren. Nun gebe es drei Wege, mit einer revisionistischen Macht wie Russland umzugehen:

  1. Wohlstandstransfergescheitert: Das Modell Nord Stream 1 und 2. Handel führt zu Wohlstand in der russischen Mittelschicht, die Kosten von Grenzverschiebungen oder Kriegen werden zu hoch.
  2. Appeasementgescheitert: Das Modell Minsk 1 und Minsk 2. Man fragt den Revisionisten: Was hättest du denn gerne, wie kann ich dir entgegenkommen, was wäre ein Kompromiss?
  3. Abschreckung: Auf lange Zeit die einzige Möglichkeit. Heißt: Aufrüstung.

Hier der ganze Vortrag zum Nachsehen – sehr empfehlenswert!

Russland sei nicht die einzige revisionistische Macht in Europa. Es gebe die Türkei, die seit der zweiten Hälfte der Regierungszeit Erdogans eine neoosmanische Politik verfolge. Es gebe Ungarn, das unzufrieden damit sei, dass so viele Ungarn außerhalb ihres Staatsgebiets leben. Und dann sei da noch Serbien, der Verlierer der jugoslawischen Zerfallskriege. Deswegen werde der Raum um das Schwarze Meer auf Jahrzehnte die größte sicherheitspolitische Herausforderung der Europäer.

Münkler geht auch auf ein mögliches Ende des Ukraine-Kriegs ein.

Für Russland sei ein baldiges Ende schwierig, zum einen stehe man tief in der Ukraine, da sei es historisch betrachtet immer schwer, quasi aufzuhören. Zum anderen habe man hohe Opferzahlen zu beklagen. Letzeres führe selten dazu, dass man Frieden schließe. Viel eher kämpfe man jetzt erst recht, damit die Soldaten gewissermaßen nicht umsonst gestorben sind.

Für die Ukraine sei ein baldiges Ende ebenfalls schwierig, denn dazu müsste man einen Kompromiss schließen und eigenes Gebiet aufgeben. Das sei für einen Präsidenten schwer zu kommunizieren. Und auch hier gelte: Dass schon viele Menschen sterben mussten, macht das aufhören schwer.

Den Patt lösen könnten nur Sicherheitsgarantien von NATO-Staaten für die Ukraine, sagt Münkler im Vortrag. Das könnte neben einem Waffenstilland das Ergebnis von Verhandlungen sein. Denn ohne solche Garantien könnte Russland die Pause einfach nutzen, um später gestärkt erneut anzugreifen. .

Dass es dazu komme, werde aber wohl dauern. Denn dazu müsse die Aussicht, die eigene Situation noch durch Kampfhandlungen zu verbessern, bei beiden schwinden.

Münkler zur Schweizer Neutralität

Im Ersten Weltkrieg sei die Schweizer Neutralität logisch gewesen, denn dieser war zum Teil eine Auseinandersetzung von Deutschland und Frankreich. Parteinahme hätte die Schweiz zerissen. Beim Zweiten Weltkrieg sei das zum Teil noch ähnlich gewesen, im Kalten Krieg die Neutralität aber kaum mehr argumentierbar, denn es sei klar gewesen, auf welcher Seite man eigentlich stehe.

Trotzdem gab es aber noch so etwas wie eine Neutralitätsdividende. Heute gebe es diese nicht mehr, man habe also keine Vorteile mehr durch die Neutralität und trage nur mehr die Kosten in der Form von Nichtbeteiligung an den für die Schweiz relevanten Sicherheitsentscheidungen in NATO und EU.

Um im Krieg in der Ukraine als Vermittler aufzutreten, dafür fehle der Schweiz die Größe und die Macht. Denn dazu müsse man das eigens ausverhandelte Ergebnis auch als Garantiemacht absichern können.

„It’s more like murder than it is like war“: Stephen Kotkin

Viel zu gewinnen gebe es nicht für Russland in der Ukraine, sagt der Historiker und Stalin-Biograph Stephen Kotkin (Princeton Universität) im Interview mit dem New Yorker. Aber was, wenn die Definition eines Gewinns für Russland die Zerstörung der Ukraine sei?

Wenn du nicht mit mir spielst, dann spielst du mit niemandem. Einige Auszüge aus einem hochinteressanten Gespräch mit David Remnick, dem Chefredakteur des New Yorker. Ist Putin ein taktisches Genie? (Nein.)

In Ukraine, what is it that he’s gained? If you look over the landscape, he’s hurt Russia’s reputation—it’s far worse than it ever was. He consolidated the Ukrainian nation, whose existence he denied. He is expanding NATO, when his stated aim was to push NATO back from the expansion undertaken since 1997. He’s even got Sweden applying for NATO membership. And, so, all across the board, it’s a disaster.

Wie könnte ein Sieg für die Ukraine aussehen?

Here’s the better definition of victory. Ukrainians rose up against their domestic tyrants. Why? Because they wanted to join Europe. It’s the same goal that they have now. And that has to be the definition of victory: Ukraine gets into the European Union. If Ukraine regains all of its territory and doesn’t get into the E.U., is that a victory? As opposed to: If Ukraine regains as much of its territory as it physically can on the battlefield, not all of it, potentially, but does get E.U. accession—would that be a definition of victory? Of course, it would be.

Das würde heißen, dass die Ukraine die Krim und den Donbass Russland überlässt. Aber was ist die Alternative?, fragt Kotkin. Man befinde sich in einem Abnützungskrieg und der lasse sich nur gewinnen, indem man mehr Waffen als der Gegner produziere und dessen Produktionsanlagen schneller zerstöre als er die eigenen.

Die Ukraine verschieße 90.000 Artilleriegeschoße im Monat, die USA könnten nur 15.000 im Monat produzieren, andere Länder gemeinsam noch einmal 15.000 im Monat. Das geht sich nicht lange aus, vor allem, weil die USA die Munition lieber nach Taiwan schicken sollte, so Kotkin.

Dann zieht Kotkin eine Analogie mit Korea:

If you look at the North Korea–South Korea outcome, it’s a terrible outcome. At the same time, it was an outcome that enabled South Korea to flourish under American security guarantees and protection. And, if there were a Ukraine, however much of it—eighty per cent, ninety per cent—which could flourish as a member of the European Union and which could have some type of security guarantee—whether that were full NATO accession, whether that were bilateral with the U.S., whether it were multilateral to include the U.S. and Poland and Baltic countries and Scandinavian countries, potentially—that would be a victory in the war.

Und:

We want to build a South Korea-style Ukraine, part of the E.U., behind the D.M.Z., where there’s an armistice, not a settlement; where there is no legal recognition of any Russian annexations unless there’s some type of larger bargain, peace settlement; where the Russians make significant concessions as well and there is the move toward an actual security guarantee rather than discussion and promises of a security guarantee.

Auch wenn Kotkin an ein mögliches Ende denkt, ist er für Waffenlieferungen an die Ukraine. Warum?

Because I think the Ukrainians deserve the chance to try to win on the battlefield before we get to that part that you described as: each side has to sit down and make unpleasant concessions, and you have to sit down across from representatives of your murderer, and you’ve got to do a deal where your murderer takes some of the stuff he has stolen—and killed your people in the process. That’s a terrible outcome. But that’s an outcome which may not be the worst outcome. The point being that, if you get E.U. accession, it balances the concessions you have to make.

Große Leseempfehlung für das gesamte Interview. (26 Minuten Lesezeit)

Mearsheimer (2015) über die Ukraine

Nicht alles an diesem Vortrag von John Mearsheimer (Universität Chicago) ist gut gealtert. In einer Passage sagt er, Putin werde nicht so blöd sein und versuchen, die Ukraine zu erobern. Trotzdem ist seine Analyse über die Zeit zwischen 2008 und 2014 und die NATO und Ukraine hörenswert:

Bernhard Pörksen über Journalismus

Was Journalismus heute sein sollte.

Nötig ist ein Journalismus des zweiten Gedankens, der, unerschrocken und faktenorientiert, um Aufklärung ringt. Der sich nicht im Hype des Augenblicks verliert, sondern dabei hilft, die Großkrisen der Gegenwart besser zu begreifen, Szenarien der Lösung zu präsentieren. Das heißt: weg von der bloß zeitlich bestimmten Aktualität hin zur existenziellen Relevanz und einer mitfühlenden, diskursorientierten Zukunftsgestaltung. Das wäre das Credo für unsere Zeit, denke ich.

Waren die Medien in der Corona- und Ukraine-Krise zu einseitig?

War die Berichterstattung in der Migrations-und Corona-Krise tatsächlich so monolithisch, so undifferenziert? Das trifft so nicht zu. Zum anderen ist Dissens nicht immer gut und ein Konsens nicht prinzipiell verdächtig. Wird ausreichend offen und ausgeruht debattiert? Irgendwann ist der Streit in der Sache dann vielleicht gut begründet entschieden. Und schließlich ist das Vielfalts- und Ausgewogenheitsplädoyer mitunter einfach eine Chiffre für False-Balance-Propaganda.

Dass die Werbefinanzierung von Medien weniger wird, hat auch Nachteile.

Das ist die neue ökonomische Basis vieler Angebote, der Abonnent mit seinen Erwartungen. Die Folge: Publizistische Gesinnungspflege wird in anderer Unmittelbarkeit zum Geschäftsmodell , im Extremfall auch zur ökonomischen Notwendigkeit. Die langfristige Wirkung: Nischenbildung, die Herausbildung medialer Selbstbestätigungsmilieus, Polarisierungseffekte.

Wie kann die Politik Medienförderung sinnvoll gestalten?

Indem sie die Qualitätsfrage, so heikel die auch ist, ins Zentrum stellt, sie jedoch nicht selbst beantwortet, sondern an politikferne Instanzen und tatsächlich unabhängige Expertinnen und Experten delegiert, denen man auch die Vergabe der Inseraten-und Fördergelder überträgt. Die einfache Lehre aus dem gegenwärtigen Fördersystem: Die Verbindung von Politik und Medien ist, erstens, viel zu eng, viel zu direkt. Das schafft ungute Abhängigkeiten. Und zweitens: Bloß formale Kriterien wie die Höhe der Druckauflage sind kein Förderkriterium. Denn bunt bedrucktes Papier ist nicht per se demokratierelevant.

Lest das ganze Interview im Profil.

480 Millionen urbane Inder

Dharavi’s location and fame make it a powerful example of a much bigger problem. India’s cities are home to over a third of its population, or around 480m people, and are the engines of its growth. Yet the poor conditions in which most city-dwellers live, learn and labour are a blight and significant speed limit. Around half live in slums and a third without a connection to piped water, according to the un. In 2016 a third of India’s urban-dwellers lived more than three to a room. In Dharavi’s hutments, as its slum shacks are called, a dozen people to a tiny room is not uncommon. “To live in a proper home, to have a toilet, it is a matter of dignity,” says Raju Korde, an entrepreneur in Dharavi.

Economist

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In China sind es 900 Millionen Menschen, die in Städten leben. In der EU 330 Millionen, in den USA 275 Millionen. (Quelle: Weltbank)