„It’s more like murder than it is like war“: Stephen Kotkin

Viel zu gewinnen gebe es nicht für Russland in der Ukraine, sagt der Historiker und Stalin-Biograph Stephen Kotkin (Princeton Universität) im Interview mit dem New Yorker. Aber was, wenn die Definition eines Gewinns für Russland die Zerstörung der Ukraine sei?

Wenn du nicht mit mir spielst, dann spielst du mit niemandem. Einige Auszüge aus einem hochinteressanten Gespräch mit David Remnick, dem Chefredakteur des New Yorker. Ist Putin ein taktisches Genie? (Nein.)

In Ukraine, what is it that he’s gained? If you look over the landscape, he’s hurt Russia’s reputation—it’s far worse than it ever was. He consolidated the Ukrainian nation, whose existence he denied. He is expanding NATO, when his stated aim was to push NATO back from the expansion undertaken since 1997. He’s even got Sweden applying for NATO membership. And, so, all across the board, it’s a disaster.

Wie könnte ein Sieg für die Ukraine aussehen?

Here’s the better definition of victory. Ukrainians rose up against their domestic tyrants. Why? Because they wanted to join Europe. It’s the same goal that they have now. And that has to be the definition of victory: Ukraine gets into the European Union. If Ukraine regains all of its territory and doesn’t get into the E.U., is that a victory? As opposed to: If Ukraine regains as much of its territory as it physically can on the battlefield, not all of it, potentially, but does get E.U. accession—would that be a definition of victory? Of course, it would be.

Das würde heißen, dass die Ukraine die Krim und den Donbass Russland überlässt. Aber was ist die Alternative?, fragt Kotkin. Man befinde sich in einem Abnützungskrieg und der lasse sich nur gewinnen, indem man mehr Waffen als der Gegner produziere und dessen Produktionsanlagen schneller zerstöre als er die eigenen.

Die Ukraine verschieße 90.000 Artilleriegeschoße im Monat, die USA könnten nur 15.000 im Monat produzieren, andere Länder gemeinsam noch einmal 15.000 im Monat. Das geht sich nicht lange aus, vor allem, weil die USA die Munition lieber nach Taiwan schicken sollte, so Kotkin.

Dann zieht Kotkin eine Analogie mit Korea:

If you look at the North Korea–South Korea outcome, it’s a terrible outcome. At the same time, it was an outcome that enabled South Korea to flourish under American security guarantees and protection. And, if there were a Ukraine, however much of it—eighty per cent, ninety per cent—which could flourish as a member of the European Union and which could have some type of security guarantee—whether that were full NATO accession, whether that were bilateral with the U.S., whether it were multilateral to include the U.S. and Poland and Baltic countries and Scandinavian countries, potentially—that would be a victory in the war.

Und:

We want to build a South Korea-style Ukraine, part of the E.U., behind the D.M.Z., where there’s an armistice, not a settlement; where there is no legal recognition of any Russian annexations unless there’s some type of larger bargain, peace settlement; where the Russians make significant concessions as well and there is the move toward an actual security guarantee rather than discussion and promises of a security guarantee.

Auch wenn Kotkin an ein mögliches Ende denkt, ist er für Waffenlieferungen an die Ukraine. Warum?

Because I think the Ukrainians deserve the chance to try to win on the battlefield before we get to that part that you described as: each side has to sit down and make unpleasant concessions, and you have to sit down across from representatives of your murderer, and you’ve got to do a deal where your murderer takes some of the stuff he has stolen—and killed your people in the process. That’s a terrible outcome. But that’s an outcome which may not be the worst outcome. The point being that, if you get E.U. accession, it balances the concessions you have to make.

Große Leseempfehlung für das gesamte Interview. (26 Minuten Lesezeit)

Mearsheimer (2015) über die Ukraine

Nicht alles an diesem Vortrag von John Mearsheimer (Universität Chicago) ist gut gealtert. In einer Passage sagt er, Putin werde nicht so blöd sein und versuchen, die Ukraine zu erobern. Trotzdem ist seine Analyse über die Zeit zwischen 2008 und 2014 und die NATO und Ukraine hörenswert:

Was schützen wir eigentlich, wenn wir die Natur schützen?

Mit mehr als 1000 Quellen, Unmengen an Daten und historischen Bildern zeichnet der Botaniker Peter Poschlod in „Geschichte der Kulturlandschaft“ den Wandel der Natur zur Kulturlandschaft über die letzten 7000 Jahre in Mitteleuropa nach. Wirklich hoch interessant und ein must read für Landwirte, Politikerinnen, Naturschützer und jeden Nachhaltigkeitsinteressierten.

Was schützen wir eigentlich, wenn wir die Natur schützen? Großteils von Menschenhand geschaffene Lebensräume – etwa Heiden oder Magerrasen -, die aus land- und forstwirtschaftlichen Praktiken stammen, die heute immer seltener angewandt werden, weil sie nicht wirtschaftlich sind.

Auch wenn die Kulturlandschaft am stärksten im 20. Jahrhundert verändert wurde, zeigt Poschlod, wie lange Prozesse wie die Sesshaftwerdung, über Jahrhunderte oder Jahrtausende praktizierte extensive Weidehaltung, später die Aufklärung, das Denken in Kategorien wie Nutzen und die darauf folgende Ökononomisierung und nun Bürokratisierung über Jahrhunderte die Landschaft und Artenvielfalt prägten, die wir heute kennen.

Zum Buch.

Geld verdienen im Internet

Der Influencer Michi Buchinger verdient 20.000€ netto im Monat. Hat er bei Frühstück bei mir am Sonntag auf Ö3 erzählt.

Hut ab für die Transparenz.

Unternehmen verdienen mit dem Effekt der Werbung viel Geld – weil sie etwa mehr Produkte verkaufen – und da ist es absolut fair, dass Buchinger seinen Anteil daran bekommt.

Auch spannend: Daumen mal Pi kann man für ein Insta-Posting 200€ pro 10.000 Follower verlangen, sagt er. Für Stories etwas weniger. Meistens verkauft er Pakete.

Wer sich erklären muss hat schon verloren

Ich muss sie auf ihrer Gefühlsebene erwischen. Ein Beispiel: 2007 erregte der Fall Arigona Zogaj, die mit ihrer Familie in den Kosovo abgeschoben wurde, Aufsehen. Das Thema spielte später im Bundespräsidentschaftswahlkampf von 2010 erneut eine Rolle. Der Sender ATV ließ die Wirkung eines Interviews mit Fischer (Heinz, Präsidentschaftskandidat, Anm.) damals von uns per sogenannten Perception-Analyzer untersuchen. Das Publikum bestand aus verschiedenen Gruppen, die jeweils Parteien zuordenbar waren. Jede Person hatte einen Drehknopf vor sich, mit dem Zustimmung oder Ablehnung bekundet werden konnte – auf einer ganz emotionalen Ebene.

Zum Thema Zogaj sagte Fischer damals: „Wir können mit Kindern nicht so umgehen.“ Und da sind sogar die FPÖ-Wähler im Publikum, die stark für die Abschiebung waren, in eine emotionale Zustimmung gegangen. Fischer ist das Thema von einer ganz anderen Seite angegangen – nicht über Integrationspolitik, nicht von der rechtlichen Seite her, nicht mit erhobenem Zeigefinger – und er hat damit eine tiefe emotionale Zustimmung ausgelöst. Das gilt in vielen Bereichen: Sobald ich anfange zu erklären, bin ich schon auf der Verliererstraße. Man muss die Leute auf einer Gefühlsebene ansprechen.

Peter Hajek im STANDARD

Das ganze Interview mit Meinungsforscher Peter Hajek.

Bernhard Pörksen über Journalismus

Was Journalismus heute sein sollte.

Nötig ist ein Journalismus des zweiten Gedankens, der, unerschrocken und faktenorientiert, um Aufklärung ringt. Der sich nicht im Hype des Augenblicks verliert, sondern dabei hilft, die Großkrisen der Gegenwart besser zu begreifen, Szenarien der Lösung zu präsentieren. Das heißt: weg von der bloß zeitlich bestimmten Aktualität hin zur existenziellen Relevanz und einer mitfühlenden, diskursorientierten Zukunftsgestaltung. Das wäre das Credo für unsere Zeit, denke ich.

Waren die Medien in der Corona- und Ukraine-Krise zu einseitig?

War die Berichterstattung in der Migrations-und Corona-Krise tatsächlich so monolithisch, so undifferenziert? Das trifft so nicht zu. Zum anderen ist Dissens nicht immer gut und ein Konsens nicht prinzipiell verdächtig. Wird ausreichend offen und ausgeruht debattiert? Irgendwann ist der Streit in der Sache dann vielleicht gut begründet entschieden. Und schließlich ist das Vielfalts- und Ausgewogenheitsplädoyer mitunter einfach eine Chiffre für False-Balance-Propaganda.

Dass die Werbefinanzierung von Medien weniger wird, hat auch Nachteile.

Das ist die neue ökonomische Basis vieler Angebote, der Abonnent mit seinen Erwartungen. Die Folge: Publizistische Gesinnungspflege wird in anderer Unmittelbarkeit zum Geschäftsmodell , im Extremfall auch zur ökonomischen Notwendigkeit. Die langfristige Wirkung: Nischenbildung, die Herausbildung medialer Selbstbestätigungsmilieus, Polarisierungseffekte.

Wie kann die Politik Medienförderung sinnvoll gestalten?

Indem sie die Qualitätsfrage, so heikel die auch ist, ins Zentrum stellt, sie jedoch nicht selbst beantwortet, sondern an politikferne Instanzen und tatsächlich unabhängige Expertinnen und Experten delegiert, denen man auch die Vergabe der Inseraten-und Fördergelder überträgt. Die einfache Lehre aus dem gegenwärtigen Fördersystem: Die Verbindung von Politik und Medien ist, erstens, viel zu eng, viel zu direkt. Das schafft ungute Abhängigkeiten. Und zweitens: Bloß formale Kriterien wie die Höhe der Druckauflage sind kein Förderkriterium. Denn bunt bedrucktes Papier ist nicht per se demokratierelevant.

Lest das ganze Interview im Profil.