Zehn Dinge, die ich über das Podcasten gelernt habe

Podcasts erobern langsam die Welt. Weil ich ein großer Fan bin, habe ich vor gut einem halben Jahr meinen eigenen gestartet:  „Nachfrage – der Interview-Podcast“. Ohne Konzept und technisches Know-how, schlicht um Erfahrungen zu sammeln. In Österreich liegt der Markt noch brach. Das ist schade, denn Podcasts sind nicht nur für etablierte Medien interessant. Alle, die etwas zu sagen haben, können sich damit relativ simpel eine Bühne verschaffen. Vielleicht helfen diese zehn Punkte künftigen Podcastern in Österreich – oder wo auch immer ihr einen starten wollt.

  1. Kein anderes Medium schafft so eine Bindung. Ein authentisch gemachter Podcast schafft eine persönliche Beziehung zum Hörer. Wer regelmäßig die gleiche Stimme hört, gewöhnt sich an sie und lernt ihr im besten Fall zu vertrauen. So geht es mir etwa mit Ira Glass, Stephen Dubner oder Krista Tippett. Medien, denen Werbeerlöse weg brechen, können sich so treues Publikum schaffen. Aus dem vielleicht später einmal Abonnenten oder Crowdfunder werden.
  2. Ihre Zeit ist gekommen. Für das Fernsehen gibt es Netflix. Die Musik-Industrie hat Spotify. Podcasts sind die Antwort des 21. Jahrhunderts auf das Radio. Junge Leute suchen sich gerne selbst aus, was sie wann hören. Alle besitzen Handys, neue Autos Bluetooth. Wenn das Angebot an deutschen Formaten wächst, springen auch mehr Österreicher auf. Ich bin mir sicher.
  3. Wie viele hören Podcasts? Für Österreich gibt es keine Daten. Wahrscheinlich etwas weniger oder ähnlich viele wie in Deutschland. Dort hören etwa 3 Millionen Menschen einmal die Woche einen Podcast (knapp 4%, das wären in Österreich 300.000). Bei den Jungen ist die Quote höher, sie liegt bei den 14-29-Jährigen bei 10% (sie machen die Hälfte der Hörer aus). Zum Vergleich: 15% der Amerikaner hören wöchentlich Podcasts, also vier Mal so viele wie in Deutschland. Populäre Shows werden einige Millionen Mal heruntergeladen.
  4. Podcasts sind noch eine Nische. Selbst in den USA. 40 Prozent der Amerikaner haben das Wort „Podcast“ noch nie gehört. Weitere 20 Prozent haben sich noch nie eine Podcast-Folge heruntergeladen. Bleiben 40 Prozent, von denen nicht einmal die Hälfte regelmäßig einen Podcast konsumiert. Es geht aber nach oben: Die Zahl der regelmäßigen Hörer hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt. Sie sind im Schnitt jünger, gebildeter und wohlhabender.
  5. Die Technik ist keine Hexerei. Anfangs habe ich meine Interviews mit einem iPhone 6S aufgenommen. Die Qualität ist gut, ich rate euch aber zum Kauf eines Ansteckmikros. Ein Interviewpartner hat sich einmal nur ein bisschen zurückgelehnt und war alleine deshalb nur mehr schwer zu verstehen. Seit einiger Zeit verwende ich ein Zoom H4N, das Teil ist ziemlich alt, aber trotzdem gut. Wenn mehr als eine Person spricht, ermöglichen euch Ansteckmikros auf zwei Kanälen (Stereo) aufzunehmen. Das macht die Bearbeitung des Files nachher viel einfacher. (Mehr Tipps hier und hier.)
  6. Das mit dem Sprechen ist so eine Sache. Podcasts haben eine eigene Sprache, lockerer als im konventionellen Radio. Viele wirken, als würden alte Freunde plaudern. In meinem Podcast spreche ich zu Beginn immer nur um die 3 Minuten, in denen ich die Folge vorstelle. Ich bin eher ein Mann des geschriebenen Textes, das hört man auch. Besonders in den ersten Folgen, die mir heute zugegeben ein bisschen peinlich sind. Sprechtraining eignet sich für Podcasts aber nur eingeschränkt, denke ich (was mir auch ein Podcast-liebender TV-Moderator bestätigt hat). Das wirkt schnell gekünstelt. Wichtig ist, klar zu sprechen, seinen Stil zu finden und die Gabe einer sympathischen Stimme zu besitzen. Tipp: Nichts ablesen, immer frei sprechen.
  7. Das Schneiden ist ziemlich easy. Zumindest wenn es um die Basics geht (und mehr habe ich nach wie vor nicht drauf). Anfangs habe ich Audacity verwendet, eine gratis Software. Seit einiger Zeit nutze ich aber Hindenburg Journalist, der heiße Scheiß in der Podcast-Szene und eines der am einfachsten zu bedienenden Programme, das ich kenne. Normalerweise kostet es $80, am World Radio Day (13.2.) gab es die Software aber um $2 zu kaufen. Warten könnte sich also lohnen. (Mehr Tipps hier.)
  8. Wo man seine Dateien hosten kann. Ich nutze derzeit Soundcloud Pro Unlimited, um meine Audio-Files zu hosten. Dafür zahle ich 90 Euro im Jahr und habe unbegrenzten Speicher. Wer in Summe mehr als 3h hochlädt, muss zahlen. Vorher habe ich Podigee probiert, das in der Podcasting-Community sehr beliebt ist (bei längeren Files aber schnell teuer wird). Ganz zu Beginn habe ich meine Files auf meinem eigenen Server gehostet und mit WordPress einen RSS-Feed erstellt (das Plugin Podlove ist für diesen Fall in der Community beliebt, ich habe es aber nicht probiert). Zu Soundcloud bin ich, weil mir auf meinem eigenen Server der Platz ausgegangen wäre. Wenn ihr einen RSS-Feed habt, ladet ihn auf iTunes hoch (das geht schnell).
  9. Das mit den Statistiken ist auch so eine Sache. Erstaunlicherweise wissen wir Podcaster nicht recht viel mehr über unsere Konsumenten als herkömmliche Radios oder Printmagazine – obwohl das Medium Internet viel mehr zu bieten hätte. Die Währung am Markt sind Downloads. Ob die Episode dann überhaupt angehört wird, weiß keiner; geschweige denn, wie lange die Leute zuhören. Apple, das mit iTunes die mit Abstand wichtigste Plattform für den Markt bietet, dürfte aber – Gott sei Dank – bald Abhilfe schaffen. Bis dahin muss man mühsam tracken, ich mache es so: Meinen Soundcloud-RSS-Feed habe ich via Feedburner in einen neuen Feed umgewandelt. Diesen habe ich dann auf iTunes geladen. Feedburner zählt die Downloads pro Folge (ähnlich wie Podtrac, das in den USA sehr beliebt ist und ich zur Kontrolle benutze – die Zahlen sind fast deckungsgleich). Feedburner liefert auch eine Annäherung an die Zahl der Abonnenten. Es misst, wie oft der Feed abgerufen wird. Nur eine Annäherung ist es deshalb, weil die Zahlen stark schwanken. Wer den Podcast abonniert, iTunes aber 24h lang nicht öffnet, wird beispielsweise nicht gezählt. Am Wochenende gehen die Zahlen zeitweise plötzlich stark zurück. Die Zahl der Abonnenten ist aber nicht so relevant: mehr dazu hier.
  10. So viele Leute hören mir zu. Mit meinen letzten sechs Episoden komme ich seit März gesamt auf etwa 10.000 Downloads (für die vorherigen drei habe ich keine verlässlichen Zahlen, weil ich Feed und Anbieter gewechselt habe). Das sind im Schnitt gut 1.600 Downloads pro Folge. Etwas weniger als die Hälfte der Leute hören über eine Podcast-App zu. Die meisten kommen über die vorinstallierte iPhone-App, nur ein Fünftel hört die Folge innerhalb von 24h nach Upload. Wer über keine Podcast-App kommt, hört über Soundcloud, Soziale Medien oder den eingebetteten Player in den Interviews auf derStandard.at zu (ein Beispiel). Feedburner sagt mir, dass etwa 600 Leute am Tag meinen Feed abrufen. Die letzten beiden Folgen haben jeweils 800 Leute über eine Podcast-App heruntergeladen. Irgendwo da liegt wohl auch die Zahl meiner Abonnenten. Jedenfalls stimmen mich die Statistiken optimistisch: Mein Podcast erscheint unregelmäßig (schlecht!), ist amateurhaft produziert (learning by doing), besteht aus stundenlangen Interviews mit Wissenschaftern (Nische!) und wird quasi nicht beworben. Wenn hier schon gar nicht so wenige Leute zuhören, dann ist in Österreich auf jeden Fall Potenzial da.

Es gibt auch ein Podcasting-Meetup in Wien – mit wirklich coolen Leuten.

Mehr Tipps: Eine großartige Übersicht über das Podcasting-Business hat Ken Doctor geschrieben. Ira Glass, der Godfather des Podcasting, erklärt in diesem Artikel wie ein Narrative Podcast funktioniert. Wie er arbeitet, hat er hier beschrieben. Der ebenfalls geniale Alex Blumberg, Gründer des Podcasting-Studios Gimlet, erklärt hier, wie man eine Audio-Story macht und richtig interviewt. Hier findet ihr noch Tipps von den Machern von This American Life. Die tolle Seite transom.org – die ihr euch merken solltet – hat die Basics des Podcastens in einer 5-teiligen Serie beschrieben.
Bild-Copyright: Lisa Spreckelmeyer / pixelio.de

Die Suche nach einem Muster hinter Trump, Hofer und dem Brexit

Die Rechtspopulisten sind rund um den Globus mit ähnlicher Politik ähnlich erfolgreich: Irgendwas müssen sonst sehr unterschiedliche Länder wie etwa die USA, Großbritannien und Österreich also gemein haben. Auf der Suche danach bin ich auf diese Artikel und Studien gestoßen, die mich nicht alle überzeugt, aber zumindest stark zum Nachdenken gebracht haben.

Das Aufbegehren der Konservativen, denen vieles zu schnell geht: 

Jan-Werner Müller, Politikwissenschafter in Princeton:

  • “On one side of the new conflict are those who advocate more openness: toward minorities at home and toward engagement with the world on the outside. On the other side we find the Le Pens, Farages and Trumps: close the nation-state off by shutting borders and thereby, or so they promise, take back control; but also, preserve the traditional hierachies that have come under threat on the inside. “Make America Great Again” means above all: “Make sure white males rule again.” 

Matthew Yglesias auf vox.com:

  • The social and cultural clout of nonwhite people really has grown in the United States, and demographic trends suggest that it is likely to continue growing in the near future. This is a real and important change, and whenever real and important change happens, you would expect some people to dislike the change. Trump has tapped into this resentment.

Eric Kaufmann von der University of London darüber, warum die Todesstrafe der beste Indikator für eine Brexit-Stimme ist:

  • The order-openness divide is emerging as the key political cleavage, overshadowing the left-right economic dimension. This was noticed as early as the mid-1970s by Daniel Bell, but has become more pronounced as the aging West’s ethnic transformation has accelerated.

Ronald Inglehart von der University of Michigan und Pippa Norris aus Harvard haben erst im August eine Studie dazu veröffentlicht:

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Matthew J. Goodwin von der University of Kent und Oliver Heath von der University of London in einer Studie zum Brexit:

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Hat sich die Elite politisch zu weit vom „normalen Volk“ entfernt?

Beim Aufschrei der Massen geht es auch um „oben“ und „unten“. Viele machen „die da oben“ für das, was passiert, verantwortlich. Ich bin mir nicht sicher, finde einige Beiträge dazu aber hochinteressant. Im Quellenverzeichnis (Teil 2) zu diesem Artikel finden sich noch einige Studien, die sich mit dem „gegen die da unten wenden“ beschäftigen.

Die ZEIT geht mit der Oberschicht hart ins Gericht. Sie habe eine “unantastbare Herrschaft des Richtigen” etabliert. 

  • Wenn man sein biologisches Geschlecht nicht annehmen will, darf man sich bis zur Unkenntlichkeit operieren lassen, aber nicht, wenn man jünger oder besser aussehen will, als man ist? Wie soll man das jemandem außerhalb der liberalen Blase erklären?
  • Schwarze Männer und Frauen werden in den USA Opfer von Polizeigewalt, sie sind von Armut betroffen, sie müssen sich gegen zahlreiche Vorurteile wehren. Doch es gibt noch eine andere Gruppe von Ausgegrenzten. Über sie, die den Fortschritt nicht so schnell begreifen, kann man auch in Zeiten der inklusiven Sprache alles Verächtliche sagen: über die Unsicheren, die Unbegabten, die Ängstlichen, über die weißen Männer. Ihre Wünsche, ihre Bedürfnisse, ihre Ängste, ihre Biografien – alles ein Witz. Man kann sie white trash nennen, oder Arbeiter, Arbeitslose, Ungelernte. In jedem Fall sind sie die Unbeliebten, weder weltgewandt noch selbstironisch. Sie sind die Gekränkten.

Jonathan Haidt über eine liberale, kosmopolitische Elite, die zu wenig auf Menschen mit einem anderen Weltbild Acht gibt:

  • One must first look at the globalists, and at how their changing values may drive many of their fellow citizens to support right-wing political leaders. In particular, globalists often support high levels of immigration and reductions in national sovereignty; they tend to see transnational entities such as the European Union as being morally superior to nation-states; and they vilify the nationalists and their patriotism as “racism pure and simple.”
  • Haidt überzeugt mich hier nicht. Aus Interesse habe ich trotzdem versucht, die Österreicher nach diesem hier beschriebenen Konzept aufzuteilen. Laut EVS sind 48 Prozent der Menschen „sehr stolz“ und 42 Prozent „ziemlich stolz“, Österreicher zu sein. 6,6 Prozent beschreiben sich als Europäer, 5,6 Prozent als Weltbürger.

Ross Douthat in der New York Times:  Die Kosmopoliten lügen sich selbst an. Und das ist ein Problem, weil es ihre Sicht auf andere trübt.

  • “It’s a problem that our tribe of self-styled cosmopolitans doesn’t see itself cleary as a tribe: because that means our leaders can’t see themselves the way the Brexiteers and Trumpistas and Marine Le Pen voters see them”
  • “They can’t see that their vision of history’s arc bending inexorably away from tribe and creed and nation-state looks to outsiders like something familiar from eras past: A powwerful caste’s self-serving explanation for why it alone deserves to rule the world.”

Den Republikanern ist es lange gelungen, die sozial Konservativen, die lieber nach innen schauen, mit ihren ideologischen Brüdern, die oft aus wirtschaftlichen Gründen weltoffener sind, zu vereinen. Sean Trende:

  • “Trump is a creation of the Republican establishment, which is frankly uncomfortable with many of its own voters, and which mostly seeks to “manage” them.”

Trump spricht eine völlig andere Sprache als andere Politiker. Das kommt an. David Byler hat das statistisch analysiert. Eines der wichtigsten Wahlmotive für Trump ist, „he tells it like it is“.

Der Politikwissenschafter Samuel Huntington hat 2004 in The National Interest zu einem Divide zwischen der transnationalen Elite und dem „einfachen Volk“ geschrieben. Er unterscheidet die Elite noch einmal:

  • “Economic transnationalism is rooted in the bourgeoisie, moralistic transnationalism in the intelligentsia.”  

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Viele fühlen sich zurückgelassen. Ein Beitrag im Guardian:

  • Most of all, Trump voters want respect. They want respect for their long hours of work that risks their bodies, for the hands caught in vices, backs wrenched by weights, and knees torn. They want respect because they are doing dangerous work, but their pay has been flat for decades.
  • They want respect because they haven’t just lost economically, but also socially. When they turn on the TV, they see their way of life being mocked and made fun of as nothing but uneducated white trash.
  • With Trump, they are finding someone who gives them respect. He talks their language, addresses their concerns. Sometimes it is celebrating what defines their neighborhood, what they in Parma have in common: being white. They and Trump are playing in dangerous territory, with the need for respect tipping into misplaced revenge.

Eine gute Erklärung zum Zusammenhang mit Protest gegen TTIP von Constantin Seibt im Tagesanzeiger: 

  • Der Slogan «Eine andere Welt ist möglich» wird ergänzt durch «Die Welt von gestern ist möglich.» Damit hat die globalisierungskritische Bewegung derart stark an Kraft gewonnen. 

Was ist jetzt zu tun? 

David Goodhart im Prospect Magazine:

  • Most traditional societies are “sociocentric”, meaning they place the needs of groups and institutions first. Today most rich societies are “individualistic”, making society a servant of the individual. Yet even in these countries, significant traces of our more sociocentric and “groupist” past are to be found in peoples instincts and moral intuitions.” 
  • The thinking behind The Righteous Mind may be the last hope for European liberalism. Indeed this book should be the scientific manual for the movement that I have called post-liberalism — those from centre-left and centre-right, including Blue Labour and Red Toryism, who argue that both economic and cultural liberalisms have “overshot” in the past generation to the particular detriment of the bottom half of society.
  • Post-liberalism, like the promised land of a post-racial politics, does not seek to refight old battles but to move on from victories won. Its concern is not to repeal equality laws, or reject the market economy, but rather to consider where the social glue comes from in a fragmented society. To that end, it acknowledges authority and the sacred as well as suffering and injustice. It recognises the virtues of particular loyalties—including nations—rather than viewing them as prejudices. And it seeks to apply these ideas to the economic as well as the social sphere.

Wieso ich mich pünktlich zu Monatsbeginn über österreichische Medien ärgere

Wer österreichische Zeitungen liest, der wusste Anfang März – am Monatsersten kommen die neuen Zahlen – dass die Arbeitslosigkeit im Februar schon wieder gestiegen ist. Alleine, das ist schlicht falsch. Zahlen des Wifo zeigen, dass die Arbeitslosenrate zwischen August 2014 und Februar 2015 gleich geblieben ist. Die Presse schreibt trotzdem von einem „starken Anstieg im Februar“. Die Arbeitslosigkeit ist in Österreich erneut gestiegen, schreiben Kurier.at, Oe24.atKrone.at und Orf.at unisono, sie ist  “weiter gestiegen”, Heute.at. Obwohl die Arbeitslosigkeit seit Monaten nicht mehr steigt, schreibt Wirtschaftsblatt.at:  „Arbeitslosigkeit steigt auch im Februar ungebremst weiter“.

Warum machen die das?

Alle Medien des Landes berichten Monat für Monat die Zahlen des Sozialministeriums. Die offizielle Statistik lässt aber nur einen Vergleich mit dem Vorjahr zu. So ist die Arbeitslosigkeit im Februar im Vergleich zu 2014 sehr wohl gestiegen, das ist richtig . Das sagt aber rein gar nichts darüber aus, wie sich die Lage in den vergangenen Monaten entwickelt hat. Geht es weiter bergab? Oder sogar bergauf? Die offizielle Statistik verrät das nicht, österreichische Zeitungen titeln trotzdem  regelmäßig damit, ohne die wirklichen Zahlen zu kennen.

Liest man dann in den jeweiligen Artikeln weiter, steht immer wieder „im Vergleich zum Vorjahr“. Für die meisten Menschen ist das aber zu spät, sie nehmen Nachrichten nur oberflächlich wahr. Der Titel ist die Nachricht. Viele, die weiterlesen, verstehen das den Statistiken zugrunde liegende Konzept nicht, da bin ich mir sicher. Wer will es ihnen verübeln, wenn sich anscheinend auch Journalisten schwer damit tun. So lesen Monat für Monat hunderttausende Menschen von steigenden Arbeitslosenzahlen, obwohl die Arbeitslosigkeit gerade gar nicht steigt.

Ein Blick hinter die Statistik

Die Zahlen des Sozialministeriums lassen sich mit jenen der Vormonate nicht vergleichen, weil es bei der Arbeitslosigkeit je nach Jahreszeit große Schwankungen gibt. In der Urlaubszeit brauchen Tourismus und Gastronomie zusätzliche Hände, im Winter steht der Bau still, vor Weihnachten stellt der Handel tausende zusätzliche Arbeitskräfte an.

So steigt die Zahl der Arbeitslosen jeden Jänner stark an. Das liegt aber nicht an einer Verschlechterung der Lage am Arbeitsmarkt, sondern etwa an befristeten Stellen im Handel und in Logistikzentren, die wieder wegfallen. Das passiert jedes Jahr. Eine Daumenregel: In den warmen Sommermonaten ist die Arbeitslosigkeit niedriger als sonst, in den Wintermonaten höher. Das lässt sich gut an den Zahlen von 2004 veranschaulichen.

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Einige Jahre nach dem Platzen der Dotcom-Blase in den USA hatte sich die österreichische Wirtschaft wieder halbwegs erholt. Sie wuchs 2004 um satte 2,7 Prozent. Unternehmen trauten der Sache aber noch nicht ganz und hielten sich bei der Einstellung neuer Leute zurück. Die bereinigte Arbeitslosigkeit ist so über das ganze Jahre hinweg halbwegs konstant geblieben, wie die rosa Linie in der Grafik zeigt. Die Lage am Arbeitsmarkt hat sich also weder verbessert noch verschlechtert. Die blaue Linie zeigt die Arbeitslosenrate inklusive der saisonalen Schwankungen. Über die Entwicklung während des Jahres verrät sie uns wenig.

Das ist der Grund warum das Sozialministerium jedes Monat nur Vergleiche zum Vorjahresmonat zieht. Die blaue Linie schwankt jährlich auf und ab, daraus lässt sich nichts schließen. Vergleicht man den vergangenen Februar mit Februar 2014, dann pfuschen Sommer, Winter, Feiertage & Co hingegen nicht in die Statistik. Wieso das Sozialministerium nicht gleich die rosa Linie angibt, wie das etwa auf EU-Ebene und in den USA üblich ist, ist mir ein Rätsel.

Wenn sich Sozialminister Rudolf Hundstorfer  Rat von Ökonomen holt, zeigen sie ihm ja auch die rosa Linie. In den USA gibt sich keine Zeitung mit schwer greifbaren Vorjahresvergleichen ab. Dort wird gespannt auf die Entwicklung von Jobs und Arbeitslosen im Vergleich zum Vormonat des selben Jahres geschaut. Wie uns die rosa Linie helfen kann, die aktuelle Lage zu verstehen, zeigt die nächste Grafik.

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Die Arbeitslosigkeit ist vor allem in der ersten Hälfte des Vorjahrs stark gestiegen. Danach ist sie stagniert (im März 2015 ist sie von 10,3 auf 10,4 geklettert, aber das spielt hier keine Rolle). Gibt man die dunkelblaue Linie, also die unbereinigte Arbeitslosenrate, in die Grafik, lässt sich gut veranschaulichen, wieso die Wiedergabe der Statistik durch das Sozialministerium und die meisten österreichischen Medien verzerrt.

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Wer ausschließlich die Zahlen des Sozialministeriums verwendet, kann lediglich den Punkt ganz rechts auf der blauen Linie (Februar 2015) mit dem Punkt ganz links oben (Februar 2014) vergleichen. Dieser Vergleich zeigt dann eben einen Anstieg.

Die Arbeitslosigkeit soll dem AMS zufolge noch drei weitere Jahre lang nach oben gehen. Wenn sie es einmal ein paar Monate lang nicht tut, würde ich davon auch gerne in Medien hören. Make it pink.

Foto: Lucie Gerhardt /pixelio.de

PS: Die Wifo-Daten waren mit etwas Überredungskunst zu erhalten. Das Institut schickt sie mir jetzt automatisch ein paar Stunden nach der Herausgabe der Zahlen vom Sozialministerium. Auf Nachfrage sind sie sicherlich auch für alle anderen Medien erhältlich. Am besten Helmut Mahringer kontaktieren. Eine monatliche Presseaussendung wolle man nicht machen, hat man mir gesagt. Wenn ein paar Medien nachfragen, ändern sie vielleicht ihre Meinung.

PS2: Die bereinigte Arbeitslosenrate ist ein statistisches Konstrukt. Sie existiert „da draußen“ nicht, sie wird durch ein ökonomisches Modell berechnet. Forscher stellen sich die Frage, wie hoch die Arbeitslosenrate im Jahresschnitt wäre, wenn die Wirtschaft in derselben Verfassung wäre wie im jetzigen Monat. Je aktueller die Zahlen, desto wackeliger sind sie auch. Ein Anstieg von 0,1 oder 0,2 Prozentpunkten kann so der statistischen Schwankungsbreite unterliegen und muss keine Aussagekraft haben. Außerdem gibt es für den Monatsersten immer nur vorläufige Beschäftigungszahlen. Die Anzahl der Erwerbstätigen entwickelt sich aber auch nicht so unerwartet, als dass man sie nicht trotzdem verwenden könnte.

PS3: Weil das AMS derzeit die Anzahl der Schulungen massiv zurückfährt, machen die Statistiken auch Experten Kopfschmerzen. So habe ich im Februar mit Berufung auf den Wifo-Ökonomen Helmut Mahringer selbst geschrieben, dass die Arbeitslosigkeit leicht gestiegen ist. Das hat er unter Bewusstsein der Schwankungsbreite wohl über den Daumen gebrochen geschätzt. Das Wifo hat bis zum Februar die Arbeitslosenrate selbst nur ohne Schulungsteilnehmer bereinigt. Weil viele Arbeitslose, die früher in Schulungen gesteckt sind, jetzt in die offizielle Statistik fallen, steigt die Arbeitslosenrate exklusive Schulungsteilnehmer. Erst Anfang März konnte ich selbst einen Blick auf die bereinigten Zahlen inklusive Schulungen werfen, die von der AMS-Reform nicht berührt werden. Sofern sie das Wifo weiterhin berechnet, werde ich die um saisonale Schwankungen bereinigte Arbeitslosenrate inklusive Schulungsteilnehmer als aussagekräftigsten Indikator für die Lage am Arbeitsmarkt verwenden.