„Stockkonservativ.“ Warum gehen Männer kaum in Karenz?

Katharina Mittelstaedt hat im STANDARD einen tollen Text dazu verfasst.

„Wir sehen im deutschsprachigen Raum, aber etwa auch in Japan ein sehr stark ausgeprägtes Mutterschaftsideal“, sagt Paul Scheibelhofer, Männlichkeitsforscher am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck. Mutterschaft werde einerseits völlig überhöht, „gleichzeitig werden an Mütter enorm hohe Erwartungen geknüpft“.

Die Zahlen sind erschütternd.

Im September 2022 haben fast 100.000 Frauen Kinderbetreuungsgeld bezogen – und nur 5085 Männer.

Im Jahr 2021 hatten drei Viertel aller arbeitenden Mütter mit Kindern unter 15 Jahren einen Teilzeitjob, aber nur jeder zehnte Mann.

Es gehen mehr Männer in Karenz als früher, aber nur 1 Prozent der Väter ist länger als 6 Monate in Karenz.

Der große Gender Pay Gap macht das Problem noch schwerer zu lösen. Ich habe dazu einmal diesen Text verfasst.

Gemeinsam sind wir alle dümmer. „Under the Influence“ von Robert Frank

Ich habe ein fantastisches Buch gelesen, von dem ich euch kurz erzählen möchte. „Under the Influence: Putting Peer Pressure To Work“ von Robert Frank hat mir ein paar Sachen neu gelernt und andere anders eingeordnet (und mich politisch nach links gerückt?). Let me explain. ⬇️

Beispiel 1: Als man früher Eishockey noch ohne Helm spielen durfte, haben das die meisten gemacht. Man hat einen kleinen Vorteil, weil man mehr sieht. Fragte man die Spieler aber, waren die meisten für eine Helmpflicht. Auch wenn sie selbst keinen trugen. Der wichtige Punkt:

Auch wenn etwas individuell rational ist (keinen Helm zu tragen, wenn man besser spielen will), kann es kollektiv irrational sein (wenn alle einen Helm tragen hat das den gleichen Effekt wie, wenn keiner einen tragt). Es gibt also 1 legitimes Interesse für Anreize für Individuen.

Wie im Stadion: Wenn alle aufstehen, damit sie mehr sehen, sieht keiner mehr was. Es hätten auch alle einfach sitzenbleiben können. Trotzdem ist es individuell rational, mit aufzustehen. Sonst würde man gar nix sehen. Das sind schöne Beispiele ineffizienten, kollektiven Handelns.

Und was sagt uns das jetzt? Wir entscheiden im Kontext. Immer. Nicht nur beim Eishockey, sondern auch, wenn wir arbeiten, heiraten, ein Haus bauen, uns ein Auto zulegen. Und was individuell sinnvoll ist, ist kollektiv oft sinnlos. Das macht das Leben schlechter. Stay with me.

Beispiel 2: Frank ließ sein Haus renovieren. Die Arbeiter nutzten kein Gerüst, um nach oben zu kommen, sondern nur ein paar Kübel und Bretter. Das war gefährlich und sie fielen auch tatsächlich ab und zu runter. Er fragte sie, warum sie nicht einfach 1 Gerüst nehmen?

Sie meinten, das dauert länger. Der Ökonom ordnet das so ein: Im Trade Off zwischen Einkommen & Sicherheit haben sie sich für ersteres entschieden. Das ist für sich nicht irrational. Dann merkte Frank aber, dass alle Arbeiter mit nigelnagelneuen Vans zu ihm fuhren. Wieder …

fragte er sie: Wäre es nicht besser, einen 2 Jahre alten Van zu kaufen und das Geld, das ihr spart, für ein ordentliches Gerüst auszugeben, mit ihr sicher seid? Sie schüttelten den Kopf. Es kam für sie nicht infrage, ein gebrauchtes Auto zu besitzen. Jetzt wertet Frank so:

Ein neuer Van kann nicht mehr als ein 2 Jahre alter. Würden alle Kollegen auch einen gebrauchten Van fahren, wäre es überhaupt kein Problem. Weil wir aber im Kontext entscheiden und sich verschiebt, was „gut“ ist, handeln die Arbeiter kollektiv irrational. Sie verschwenden Geld.

Autos sind „positional goods“. Wer ein „spezielles“ Auto, zB ein sehr schnelles oder teures besitzt, ist in der Skala oben. Das betrifft btw nicht nur Arbeiter*innen, sondern gilt auch für teure Hochzeiten, Dachgeschoßwohnungen, Räder, etc. Damit gibt es aber ein Problem …

Denn es gibt, per Definition, nur ein begrenztes Volumen an speziellen Dingen. Speziell macht sie ja, dass sie mehr oder besser sind als das, was andere haben. Die Autos werden also immer größer, genau wie die Häuser, Hochzeiten etc., ohne dass sich individuell die Lage bessert.

Wir sind reich, das ist kein Problem, wir können uns das leisten, könnte man jetzt denken. Aber, so argumentiert Frank recht überzeugend, wir geben so aber immer mehr und mehr Geld für positional goods aus, die wir eigentlich gar nicht brauchen. Er hat das sogar ausgerechnet.

Forscher*innen können nicht sagen, dass die Menschen in den USA 2018 insgesamt glücklicher waren als 2012. Das BIP ist in der Zeit aber um 2 Billionen USD gestiegen. Nun stellen wir uns vor, wir hätten einen Zauberstab. Mit ihm entscheiden wir, dass die Amerikaner dieses Geld …

für non-positional goods ausgeben. Also etwa für Freizeit. Wenn also die Hochzeiten etwas kleiner ausgefallen wären, die Häuserkäufe auch, hätte man damit 2 Urlaubswochen zusätzlich geben können, eine etwas kürzere Arbeitswoche und mehr Geld für Infrastruktur verwenden können.

Die Evidenz ist sozialwissenschaftlich klar, den Leuten würde es deutlich besser gehen. Frank schließt also, dass uns „expenditure cascades“, so nennt er den sich selbst sinnlos nach oben treibenden Konsum, zumindest 2 Billionen USD kostet. Individuell rational, kollektiv nicht.

Kann sich das nicht jede*r einfach selbst aussuchen? Nein, sagt Frank. Die Wissenschaft ist sich einig darüber, dass man anhand des sozialen Umfeldes eines Menschen viel besser vorhersagen kann, ob er raucht, als am Charakter. Das gilt auch für Gesundheit, Umweltbewusstsein, etc.

Wir sind soziale Wesen & daran kann kein eiserner Wille dieser Welt etwas ändern. Eine Studie legt nahe: Fängt in einer Gruppe Jugendlicher einer zum Rauchen an, steckt er durch sein Verhalten im Durchschnitt einen zweiten damit an. Aus einem Raucher werden zwei, wie bei Corona.

Was gut ist, entscheidet unser soziales Umfeld stark mit. Frank spricht es nicht klar aus, aber er spricht dem Individuum den freien Willen fast ganz ab. Das ist eine komplizierte, philosophische Debatte, es ist aber schwer, nicht zumindest Teile seiner Argumentation zu teilen.

1 Studie hat Anwält*innen von großen Kanzleien in den USA etwa gefragt, ob sie in ihrer Firma lieber hätten, wenn alle 10% weniger arbeiten und verdienen würde. Die große Mehrheit sagte Ja, aber trotzdem wird es nicht umgesetzt. Wenn keine*r damit anfängt, macht es keine*r nach.

Ich finde das Buch ist nicht nur intellektuell lehrreich, als studierter Ökonom habe ich mich immer wieder ertappt gefühlt. Wir lernen in der Standardökonomie etwa vom absoluten Wert eines Guts, dabei geht es sehr oft auch um den relativen. Gerade für Liberale ist das Buch toll.

Wie können wir uns das politisch zunutze machen? Noch ein Beispiel, das letzte, ich schwöre. Der Psychologe Robert Cialdini hat ein Experiment durchgeführt. Er schickte Briefe an Haushalte in San Diego mit 4 vers. Botschaften. Das Ziel war, Haushalte zum Energiesparen zu bringen.

A: Spar‘ Energie für die Umwelt.
B: Spar‘ Energie für künftige Generationen.
C: Spar‘ Energie, dann sparst du dir Geld.
D: Die meisten deiner Nachbarn sparen Energie.

Ratet mal, welche Botschaft am stärksten zu einer Reduktion des Energieverbrauchs geführt hat …

Die Einkommen pro Kopf sind in Österreich seit 1990 um 50 Prozent gestiegen. Natürlich geht es uns materiell besser, Autos sind sicherer, Häuser effizienter, etc.; aber geht es uns wirklich um die Hälfte besser? Oder machen wir nicht doch, wie Frank sagt, viele kollektive Fehler?

Warum gibt es so viel Armut in unserer reichen Welt?

Alle paar Sekunden verhungert auf der Welt ein Kind. Ich war 17 oder 18, als ich diesen Satz des Schweizer Autors Jean Ziegler das erste Mal las. Und ich weiß noch, wie er mich mitgenommen hat. Wie kann das sein? Wie kann es auf der Welt so viel Reichtum und zugleich so viel Armut geben? Eine schreiende Ungerechtigkeit. Du musst etwas tun. Nur was? Ich fing zu studieren an, die Jahre vergingen, aber eine klare Antwort fand ich nie.

Die Frage blieb, und auch die schreiende Ungleichheit auf der Welt. Etwa zehn Jahre, nachdem ich das erste Buch von Jean Ziegler gelesen habe, beschloss ich, dass es das nicht sein kann. Auf der Suche nach einer Antwort begann ich, mich solange mit diesem Thema zu beschäftigen, bis ich sie gefunden hatte. Weil ich wusste, dass ich mit der Frage nicht alleine war, schrieb ich meine Gedanken auf, ein Buch entstand. Heute habe ich sie.

Fangen wir von vorne an. Warum gibt es so viel Armut in unserer reichen Welt? Um uns einer Antwort zu nähern, lohnt es, die Frage auf den Kopf zu stellen. Denn ungewöhnlicher, als dass es Armut gibt, ist der unfassbare Wohlstand in einigen Regionen. Armut war die längste Zeit der Normalzustand. In Deutschland oder Österreich ist es noch nicht so lange her, dass fast jedes zweite Kind vor seinem fünften Geburtstag starb. Etwa 150 Jahre.

Das jährliche Einkommen im Westen ist in der Zeit von Jesus bis ins Jahr 1700 umgerechnet gerade einmal von 600 auf 1200 Dollar gestiegen. Heute liegt es in den USA bei mehr als 50 000 Dollar. Was war passiert? Die Industrielle Revolution. Sie begann in England, erreichte später Deutschland und Österreich. Sie ist der Schlüssel für den Wohlstand von Nationen. Denn Reichtum basiert zu einem Großteil auf der massenhaften Produktion von Gütern in möglichst kurzer Zeit: also auf der Industrie und auf Fabriken.

Ein gutes Beispiel ist der Textilsektor. Die längste Zeit musste ein Spinnrad mühsam betrieben werden. Bis James Hargreaves in England 1764 die „Spinning Jenny“ erfand, die erste industrielle Spinnmaschine, auf der nicht nur eine Spindel platziert wurde, sondern zwölf, wenige Zeit später 24. Seine Erfindung wurde kopiert und weiterentwickelt, 1775 gab es sie bereits in den USA, 1780 gab es schon Jennys mit 120 Spindeln.

Die „Jenny“ sorgte dafür, dass man viel mehr in der gleichen Zeit schaffte, war aber noch nicht revolutionär: Noch immer musste man das Spinnrad mit Muskelkraft bedienen. Bald wurde sie aber mit Wasserkraft betrieben.

Dann wurde die Dampfmaschine erfunden. Mit ihr konnte Kohle abgebaut und verbrannt werden, mit der man dann noch mehr Energie erzeugen konnte. Für Frankreich gibt es eine Berechnung, dass das Verbrennen von Kohle im Jahr 1880 die Muskelkraft von fast 100 Millionen Arbeitern ersetzte. Es wurden also in kurzer Zeit viele neue Sachen erfunden.

Aber warum in Europa? Einig sind sich Ökonomen und Historiker darüber nicht, aber ein paar Faktoren gelten für viele als wahrscheinlich. Da sind einmal zwei Revolutionen. Eine des Denkens und eine in der Politik. Die des Denkens ist die Aufklärung. Die Idee, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und dass Fortschritt möglich ist. Das gilt auch als Beginn der modernen Wissenschaft.

Die zweite Revolution ist eine politische. 1689 fand in England die sogenannte Glorreiche Revolution statt. Ein starkes Parlament wurde im Staat verankert. Der Willkür der Könige wurden Schranken gesetzt und gleichzeitig wurde die Meinungsfreiheit stark ausgeweitet. Glorreich trifft es gut, denn das ist bis heute die Basis für die westliche Demokratie, und die Ideen dahinter schwappten auf viele andere Länder, wie etwa Deutschland oder Österreich, über.

In England konnten im 18. Jahrhundert schon 80 Prozent der Männer lesen und schreiben. Bis heute gibt es Länder, vor allem in Teilen Afrikas, in denen der Wert niedriger ist. Im Tschad können etwa nur 30 Prozent der Männer lesen. Auch der Staat und die Bürokratie waren in Teilen Europas schon sehr weit entwickelt.

Eine Theorie, warum das so ist, sind die vielen Kriege, die die Franzosen, die Deutschen oder die Engländer über die Jahrhunderte miteinander und auf Eroberungszügen in der Welt geführt haben. Man musste dafür immer stärker und innovativer werden. Dazu brauchte es einen Staat, der funktionierte, der Steuern einhob – und in Kriegszeiten überzeugte man die Bevölkerung eher davon, dass die Steuerlast schon wieder erhöht werden musste.

Das sorgte für Bedingungen, in denen wirtschaftlicher Fortschritt möglich wurde. Mit der Zeit führten die vielen neuen Erfindungen dazu, dass einige Länder massiven Reichtum anhäuften. Warum aber klappte das nicht überall?

Blicken wir nach Subsahara-Afrika, denn dort leben die meisten Armen auf der Welt. Am besten teilen wir das Ganze in zwei Phasen auf. In Phase eins, bis ins Jahr 1500, gab es nicht sehr viel Kontakt mit Europa. Die Sahara war schwer zu überwinden. Schon damals unterschieden sich Afrika und Europa stark. Im Schnitt lebten auf der gleichen Fläche in Europa fast zehn Mal mehr Menschen. Südlich der Sahara gab es weniger zentralisierte Staaten.

Zwar blühten Gesellschaften auf, etwa Aksum in Nordäthiopien oder Timbuktu im heutigen Mali, das vor 600 Jahren ein Zentrum der Bildung war. Den Wettbewerb von Staaten, die Krieg führten, gab es im Afrika südlich der Sahara viel weniger. Die Schrift wurde in Nordafrika erfunden, schaffte es nach Äthiopien, aber nie weiter südlich. Außerhalb Äthiopiens wurde der Pflug nie eingesetzt und auch nicht das Rad.

In Phase eins war Afrika also schon technologisch deutlich weniger fortgeschritten als Europa. Kommen wir zu Phase zwei: Die Europäer beuteten den Kontinent schonungslos aus. Laut dem Ökonomen Nathan Nunn sind zwischen 1400 und 1900 etwa 18 Millionen Menschen als Sklaven verkauft worden. Das war aber leider noch lange nicht alles. Denn vor etwa 150 Jahren, als die Kindersterblichkeit in Ländern wie Deutschland langsam zurück ging, entschloss sich die Elite Europas, den afrikanischen Kontinent aufzuteilen.

Aus den willkürlich gezogenen Grenzen entwickelten sich Länder, die zu einem Gutteil bis heute so bestehen. In vielen leben dutzende Ethnien, die eigentlich wenig miteinander am Hut haben. Zwar gibt es in Afrika bis heute relativ wenig Kriege zwischen Staaten. Aber innerhalb vieler Staaten brodelt es. Infrastruktur, Gesundheits- oder Bildungswesen funktionieren nicht gut. Der Kolonialismus wirkt nach. Das Staatsoberhaupt hat in manchen Ländern fast die ganze Macht, Politik ist personalisiert, das Parlament und politische Parteien sind schwach. Kein Wunder also, dass es die Industrialisierung noch immer nicht in viele Länder des Kontinents geschafft hat.

Und was können wir daran jetzt ändern? Staaten in Afrika zum Funktionieren zu bringen, damit tun wir uns von Berlin oder Wien aus schwer. Das passiert vor Ort. Es hat sich schon viel getan, die Armut geht zurück, immer weniger Kinder sterben – auch wenn es immer noch viel zuviele sind. Doch einige Länder wie Botswana oder Mauritius haben die Armut extrem reduziert.

Mit 17 habe ich mich gefragt, was ein einzelner Mensch gegen Armut tun kann. Heute weiß ich, dass weder ich noch ein anderer Europäer Afrika „rettet“. Trotzdem kann man etwas tun: Sich für eine offene Welt und Austausch einsetzen. Für eine Welt, in der Migration positiv begegnet und Wissen ausgetauscht wird. Man kann sich für Klimapolitik stark machen – gerade ohnehin schon heiße Länder in Teilen Afrikas, Indien oder Brasilien leiden unter dem veränderten Klima.

Und bei all den Problemen dürfen wir nicht vergessen, dass sich sehr vieles zum Besseren verändert. Bei meiner Geburt lebten auf der Welt 1,8 Milliarden Menschen in extremer Armut. Heute sind es laut seriösen Schätzungen 600 Millionen Menschen. Noch nie in der Geschichte lebte ein so kleiner Anteil der Menschheit – unter zehn Prozent – in Armut. Nicht alles ist gut, aber vieles wird besser.

Dieser Text ist am 21. Dezember auf Seite 3 im Mannheimer Morgen erschienen. Er basiert auf Kapitel 2 und 3 meines Buchs Alles gut?! Unangenehme Fragen und optimistische Antworten für eine gerechtere Welt.

Bildquelle: Klaus-Uwe Gerhardt  / pixelio.de

Alles gut? bei der Nacht der 1000 Lichter

Gerade per Whatsapp bekommen:

„Hallo Andreas!
Ich wollte dir erzählen, dass wir durch deinen Artikel vom Jahresanfang mit den positiven Zahlen der Welt inspiriert einen Raum bei der Nacht der 1000 Lichter im Dom in St. Pölten gestern gestaltet haben. Symbolisch für die 305.000 Menschen, die täglich Zugang zu Trinkwasser bekommen haben, haben wir 305 Wasserflaschen aufgestellt.“

Der Text, der Inspiration war: 2018 war ziemlich sicher das beste Jahr in der Geschichte der Menschheit

Einfach schön!

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Einen Podcast machen: Schritt-für-Schritt-Anleitung für Anfänger*innen

Ich werde immer wieder gefragt, wie das mit dem Podcasten denn funktioniert und was man beachten sollte. Weil es praktischer ist, schreibe ich jetzt mein ganzes technisches Know-How in diesen Beitrag. Achtung: Ich bin kein Experte. Alles, was ich weiß, habe ich mir selbst beigebracht. Radiomacher und Audiotechniker werden vielleicht bei der einen oder anderen Sache den Kopf schütteln – für mich funktioniert das aber und ich bin, wie meine Hörer*innen, mit der Qualität in der Regel sehr zufrieden.

1. Aufnahmegerät. Ich habe mir ein Zoom H-6 für gut 300 Euro gekauft. Das ist ein – 2018 – state of the art Aufnahmegerät. Ich mache Interviews an einem Tisch, man kann aber auch auf der Straße damit rumlaufen und es Leuten vor die Nase halten. Man kann sich auch ältere Versionen davon kaufen, früher habe ich das H-4 verwendet, das ist auch okay und kostet 100 Euro weniger. Man kann auch, wie ich anfangs, mit dem Handy beginnen und ein Mikro anstecken. Ich kaufe mir aber gerne „heißen Scheiß“ und das ist das H-6, modern, praktisch, intuitiv.

2. Sonstige Hardware. Ihr könnt das Aufnahmegerät euren Gästen beim Reden hinhalten. Wenn ihr aber wie ich längere Gespräche aufnehmt, sind Standmikros besser. Ich habe mir 2 t.bone SC400 gekauft. Ich habe schon einiges probiert und die Qualität ist fantastisch. Dabei sind zwei Pop-Filter. Muss nicht sein, aber macht euer „P“ weicher, wenn man von poppenden Popcorn spricht, hört sich das besser an. Pro Mikro fielen 60 Euro an. Um sie auf dem Tisch festzumachen, braucht ihr noch Stative (bei mir Millenium DS100, 33 Euro pro Stück). Volle Ausrüstung: 500 Euro (bei Thomann.de). Wie habe ich ausgewählt? Ich habe sendegate.de darum gebeten, mir ein Set zusammenzustellen. Erfahrene Podcaster*innen beantworten euch dort geduldig alle Fragen. Große Empfehlung!

3. Aufnahme. Ihr habt alles montiert? Jetzt müsst ihr das Zoom noch  konfigurieren. Ich habe es nach dieser Anleitung gemacht. Dann einfach aufnehmen und herumprobieren. Setzt euch Kopfhörer auf, während ihr aufnehmt. Ihr wollt sofort hören, wie sich das anhört. Schnell merkt man, dass man zum Beispiel lieber keinen Zettel in der Hand hat. Das Rascheln hat man sofort im File. Ich nehme iPhone-Kopfhörer, dann kriege ich auch noch etwas von der „Welt da draußen“ mit. Ich sagen meinen Gästen, dass zwischen Mund und Mikro etwa 20 cm Abstand sein sollen. Viele neigen außerdem dazu, am Mikro vorbeizuschauen, weil man bei einem Gespräch lieber nix zwischen dem Gesprächspartner und sich hat. Seid streng: Ich sage immer, du redest bitte nicht mir sondern mit dem Mikro.

4. Bearbeiten. Speicherkarte raus, in den Mac oder ins Lesegerät und runter damit. Wenn 2 Mikros angesteckt waren, habt ihr 2 WAV-Dateien. Jetzt braucht ihr eine Software zum Schneiden. Audacity ist gratis, damit habe ich angefangen, dann habe ich mir Hindenburg Journalist gekauft. Es kostet 85 Euro und ist großartig. Wenn man noch nie geschnitten hat, muss man sich herumspielen. Ich habe das schon öfter gemacht und hatte den Dreh sofort raus, es ist für Podcaster*innen und Radioleute gemacht und wirklich ein Traum. Wer mehr wissen möchte, bitte googeln oder hier nachlesen. Weil ein Jingle am Anfang nett ist, findet ihr hier gratis Musik, die ihr unter Angabe der Quelle frei verwenden könnt. Fertig? Exportieren! Ich wähle „hohe Qualität“, „MP3“, „mono“. Mono heißt, dass  beide Spuren (ich und der Gast) auch auf beiden Ohren gleichmäßig zu hören sind. Das Gegenteil ist stereo, dann hört man mich links und den Gast rechts, glaubt mir, das wollt ihr nicht. MP3 macht die Dateien viel kleiner, ohne Qualität zu verlieren. Meine letzte Aufnahme dauerte 25 Minuten, 2 WAV-Dateien á 160 MB, die MP3-Datei hatte am Ende 42 MB. Damit verbraucht euer Podcast nicht das ganze Datenvolumen eurer Hörer*innen. Ich bereinige alle meine Files mit Auphonic, wenn man es viel verwendet kostet es 11 Euro im Monat, am Anfang ist es gratis. Es macht das File sauberer, kleiner (aus 42 MB werden 25 MB) und gleicht die Lautstärke aus (wenn ihr leiser redet als euer Gast zum Beispiel). Ich glaube, dass man das auch mit Hindenburg selbst machen könnte, aber es funktioniert einfach toll mit Auphonic, also gönne ich mir diesen Luxus.

5.  Hosting. Und jetzt? Wohin damit? Anfangs nutzte ich Soundcloud. Das ist okay, aber nicht perfekt, weil es eigentlich für Musiker*innen gemacht ist. Später bin ich auf Simplecast umgestiegen. Es gibt zig Anbieter, vielleicht bessere. Mir ist Simplecast ein paar Mal empfohlen worden, ich habe es mir angeschaut und fand es gut. Es kostet 12 Dollar im Monat. Viele Indie-Podcaster*innen nutzen Podlove (Anleitung). Ich habe es gerne so einfach wie möglich, Simplecast wird seinem Namen gerecht. Simplecast spuckt einen RSS-Feed aus. Wenn ihr gute Statistiken wollt, tragt den RSS-Feed noch bei Feedburner ein (siehe Punkt 7) – die erstellen einen neuen Feed, der ist dann euer einzig Relevanter, den ihr nutzt.

6. Podcasting-Apps. Wie hören die Leute Podcasts? Die meisten über das iPhone oder Apps, die auf iTunes zugreifen. Also: Bei Apple eintragen. Nach 1-2 Tagen ist euer Podcast auf iTunes. Dann gibt es noch unendlich viele andere, kleine Apps, über die man Podcasts hören kann. Mich zum Beispiel auf: Spotify, Castbox, Pocket Casts, Player FM, Podcast Addict, Acast, Stitcher, AntennaPod, TuneIn. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man meinen Podcast überall hören kann – zumindest habe ich viel durchprobiert und noch nie eine Beschwerde bekommen, dass man meinen Podcast nicht findet. Dazu müsst ihr ihn meist überall einzeln eintragen – ich habe ihn zusätzlich noch bei sicher 10 oder 15 Verzeichnissen eingetragen („Podcast Verzeichnis“ googeln).

7. Statistiken. Jetzt wollt ihr sicher wissen, wie viele zuhören? Wenn ihr Simplecast nutzt haben die okaye Statistiken für euch. Gemessen wird das in Downloads. Man weiß dann also nur, wie viele Leute sich eine Folge heruntergeladen haben. Seit einiger Zeit gibt es aber auch Beta-Statistiken von iTunes, die mehr können. Mir zeigen sie zum Beispiel, dass sich die Leute im Schnitt 80 Prozent der Folge anhören, wenn sie sie runterladen. Das ist auch bei anderen populären Podcasts so und ein toller Wert. Wenn ihr noch wissen wollt, wie viele euren Podcast abonniert haben (das ist nicht so wichtig, aber trotzdem interessant), könnt ihr wie ich zusätzlich Feedburner nutzen. Die Werte schwanken, schaut auf einen (nehmt Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag) und vergleicht ihn über die Zeit.

***

Mich hat die Grund-Ausrüstung inklusive Schnitt-Software also einmalig knapp 600 Euro gekostet. Im Monat zahle ich dann noch einmal circa 20 Euro für Hosting und Auphonic. Wenn ihr ein paar Test-Aufnahmen macht und euch mit dem Schneiden spielt habt ihr den Dreh schnell raus. Natürlich gibt es dann noch viele kleine Details, aber da hilft die klassische Anleitung zu den Geräten, Google und sendegate.de. Viel Spaß!

Alles wird immer schlimmer? Augen auf! Das Wunder von Medellín

Ich möchte euch eine kleine Geschichte erzählen. Eigentlich habe ich das für einen Artikel im STANDARD recherchiert, weil sich der aber nicht mehr ordentlich ausgeht, poste ich es hier.

Das vergangene Monat habe ich in Medellín verbracht, der zweitgrößten Stadt Kolumbiens. Sie ist ein kleines Wunder der Stadtplanung, über das ich ein paar Worte da lassen will.

Die Stadt war vor 30 Jahren einer der gefährlichsten Plätze der Welt. Das TIME-Magazin hat sie 1988 zur gefährlichsten Stadt der Welt „gekürt“ (https://is.gd/s6PUcl). Heute ist sie um Welten sicherer.

Das ist nicht nur großartig für die, die dort wohnen, sondern für die ganze Welt. Überall in ärmeren Ländern wachsen Megacities, sie in den Griff zu bekommen macht die Welt sicherer und das Leben von Millionen Menschen besser. Medellín kann ein Vorbild sein.

Wer Narcos gesehen hat, weiß: Medellín war die Hölle. 1991, am Höhepunkt von Escobars Krieg gegen den Staat, starben dort in etwa so viele Leute wie in einem Bürgerkrieg. Überträgt man die Mordrate auf Wien, wäre das so, als würden 7.000 Menschen im Jahr umgebracht.

Mithilfe der USA – deren Kokainrausch das Problem erst mitverursacht hat – wurde Escobar 1993 aufgespürt und erschossen. Weil wir im Westen nicht auf Kokain verzichten wollen, haben leider mexikanische Kartelle das Vakuum gefüllt und richten jetzt dort Regionen zugrunde.

Kolumbien ist aber halbwegs fein raus. 2002 gelang dann der nächste große Meilenstein, mit seiner Law&Order-Politik hat Álvaro Uribe die Guerilla FARC in die Schranken verwiesen. Nach langen Verhandlungen kandidieren ehemalige Guerilla jetzt für das Parlament.

Gleichzeitig übernimmt Medellín innovative Ideen aus Cali, der drittgrößten Stadt Kolumbiens, die ähnlich mit Gewalt kämpfte. Ein Wissenschafter, er war Epidemologe, wurde Bürgermeister und stellt die Politik der Stadt auf den Kopf.

Eine seiner ersten Taten: der Aufbau ordentlicher Statistiken. Er stellte fest, die Gewalt lag nicht nur an den Drogen, Morde passierten vor allem am Wochenende, nachts, meist war Alkohol im Spiel. Also wurde der Ausschank von Alkohol nach 2am verboten.

Es gab natürlich riesige Proteste der Gastronomie, der Bürgermeister bot einen Deal an. Lasst mich das drei Monate probieren, dann schauen wir weiter. Die Mordraten sank binnen kürzester Zeit enorm. An Tagen, an dem die Leute ihren Lohn kriegten, wurden außerdem Waffen verboten. Alleine aufgrund dieser zwei Maßnahmen sank die Kriminalität um 35 Prozent! (https://is.gd/6QuiNN)

Danach brachte der neue Bürgermeister die Polizei auf Vordermann. Viele kamen aus der Unterschicht, in den 90ern hatte die Hälfte keinen Schulabschluss. Das änderte er – die Effektivität der Truppe stieg enorm, Statistiken wurden zentral für die tägliche Arbeit.

Aber nicht nur Law&Order, mehr und bessere Polizei und null Toleranz gegenüber Kartellen, sondern erst die Kombination mit starker, staatlicher Sozial- und Kommunalpolitik sorgte dafür, dass die Stadt heute da steht, wo sie steht.

2004 wird in Medellín eine Seilbahn in Betrieb genommen. Es leben zwar “nur” 3,5 Millionen Leute da, aber sie sind enorm verstreut, die Armen bauten sich illegal Hütten auf die angrenzenden Berge. Die wurden mit der Seilbahn nun mit den besseren Vierteln verbunden. Einer Studie zufolge (https://is.gd/b60BDQ) ist die Kriminalität in den Regionen, die plötzlich Teil der Stadt waren, um 66 Prozent stärker gesunken als in jenen, die weiter abgelegen und schwer erreichbar waren.

Gleichzeitig werden ärmere Viertel aufgewertet, öffentliche Parks gebaut, kostenlose Bibliotheken hingestellt, eine ordentliche Beleuchtung installiert. Ein Gesetz verpflichtet den staatlichen Dienstleister, auch illegale Slums mit sauberem Wasser und Strom zu versorgen.

Zwischenzeitlich verschlechterte sich die Lage wieder. Die ZEIT schrieb 2009 (https://is.gd/IeelQl) es sei wohl nur mehr eine Frage der Zeit, bis Reisen nach Kolumbien wieder lebensgefährlich werden. Seither ist die Mordrate in Medellín erneut um 80% gefallen.

Heute ist Medellín eine sehr lebenswerte Stadt, in der viele Expats arbeiten, die das billige Leben und das das ganze Jahr über tolle Wetter genießen. Natürlich gibt es noch viel Armut und es ist um Welten unsicherer als etwa Wien. Aber es ist so viel besser geworden.

Medellin ist das krasse Symbol einer positiven Entwicklung, die in vielen Teilen der Welt um sich greift, von den meisten Menschen im Westen aber fast unbemerkt bleibt. Es gibt immer weniger Armut, Gewalt, die Leute sind gesünder und besser gebildet. Feiern wir das doch mal!

Brauchen wir einen Jesus 2.0? Ein Gedanke zu Ostern

Am Donnerstag war ich seit vielen Jahren wieder einmal aus freien Stücken in der Kirche. Paul Zulehner, ein Theologe und Pfarrer, den ich bei einem Interview für meinen Podcast kennenlernte, hielt eine Messe. Er schien mir so klug und charismatisch, dass ich mir das einmal vor Ort anschauen wollte.

Nach einer Stunde war ich desillusioniert. Es war genau so, wie ich das von früher kannte. Die Gesänge grausam, das Ambiente ungemütlich, die Art und Weise, wie mit den Anwesenden umgegangen wird, aus einem anderen Jahrtausend. Wenn ich jetzt gemein (oder ehrlich) bin, dann auch ein wenig sektiererisch.

Zulehners Predigt war schön, klug und regte mich zum Nachdenken an, sie dauerte aber keine zehn Minuten.

Der Rest: schrecklich langweilig. Schade.

Danach war ich noch eine Stunde im Pfarrheim, redete mit einigen Gläubigen und mir fiel etwas auf, dass ich schon wieder vergessen hatte: Wie wahnsinnig nett, freundlich und einfühlsam viele religiöse Menschen sind.

Jetzt darf man das nicht idealisieren, viele gehen in die Kirche, weil es die Menschen um sie auch tun und es von ihnen erwartet wird. Aber mein Eindruck ist, dass sehr viele Priester, Schwestern, Religionslehrer und andere wirklich gläubige Menschen, also jene, die Jesus und das, wofür er stand, ernst nehmen, empathischer und menschlicher sind als andere.

Der Soziologe Robert Putnam hat das in den USA auch mit Daten belegt: Sie spenden mehr und kümmern sich eher um andere Menschen.

Sie blicken auf diesen Jesus zurück, einen beeindruckenden Menschen, der sich für Arme und Aussätzige einsetzte, gegen staatliche Willkür und für einen menschlicheren Umgang miteinander. Sie haben ein Leitbild, für das es sich zu leben lohnt, ein Ideal, auf das sie blicken können, ein Vorbild.

Jetzt kann man von ihm auch heute noch wahnsinnig viel lernen, wenn man sich pragmatisch damit auseinandersetzt. Aber ich fürchte, die Kirche hat seinen Ruf ruiniert, er ist unsexy und das ganze institutionalisierte Rundherum um ihn noch viel mehr, die Kirche ist bei all ihren guten Seiten belehrend, extrem hierarchisch und diskursunfähig oder -willig.

Für sie ist der Zug abgefahren, mit der Geschichte von Jesus und dem allmächtigen Gott brauchst du Jungen heute nicht mehr zu kommen.

Das ist gut, denn wir nehmen das, was uns vorgeplappert wird, heute nicht mehr einfach so hin.

Gleichzeitig sind wir aber auch eine Generation, die so verloren zu sein scheint wie keine vor ihr, überfordert von ihren Möglichkeiten. Die auf der Suche nach dem Sinn des Ganzen jede Ecke ihres Lebens optimiert, überreizt, sich mit jeder einzelnen Zelle ihres Körpers auf sich selbst konzentriert und dabei auf die wirklich wichtigen Dinge vergisst, sich Zeit füreinander zu nehmen, zuzuhören, die Ellbogen wieder einzufahren und uns stattdessen einmal in die Arme zu nehmen, Schwächeren zu helfen und Fremde einmal zu fragen, ob man ihnen denn helfen kann.

Nicht, dass das früher anders war. Ich glaube ganz im Gegenteil. Aber wir sind vielleicht die erste Generation, die anders könnte, die großteils behutsam und ohne gröbere Schwierigkeiten aufgewachsen ist, die alles hatte, was sie brauchte.

Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe den Verdacht, dass uns eine Erzählung wie die von Jesus fehlt. Die Autoren der Bibel wussten, wie man eine überzeugende Geschichte bringt, machen wir ihn zum von einer Jungfrau geborenen Sohn Gottes, der über Wasser ging und Wunder vollbrachte. Klingt doch Hammer, das muss man zugeben.

Wenn wir heute aber eines können, dann ist das Marketing. Also los! Gott und andere Märchen kommen nicht mehr an, welche Geschichte erzählen wir uns heute?

Viele glauben, wir brauchen das nicht. Wir machen das schon alleine, jeder für sich, die superindividualisierte Gesellschaft. Ich denke, wir irren.

Wo ist also die große Erzählung für das 21. Jahrhundert? Wo lehnen wir uns an?

Bild-Copyright: Andreas Hermsdorf / pixelio.de

Liebe Medien, warum bin ich euch eigentlich egal? ¯\_(ツ)_/¯

Ich bin jung, interessiert, Akademiker und verdiene mehr als viele Österreicherinnen: Eigentlich hättet ihr jeden Grund, mir die Tür einzurennen. Ich bin euer idealer Kunde, mir Werbung zu verkaufen bringt relativ viel Geld – und ich bin ziemlich einfach für Abos ansprechbar.

Scheinbar bin ich euch aber egal. Um das zu erklären, muss ich kurz ausholen.

Ich bin seit knapp einem halben Jahr in Karenz. Die Jahre zuvor habe ich jeden Tag das Morgenjournal gehört, einige Zeitungen gelesen, Stunden auf Twitter und in Blogs verbracht und am Abend manchmal noch die ZiB2  geschaut. Als Journalist war das mein Job.

Es musste mich keiner abholen, ich bin von alleine gekommen.

Jetzt ist das anders. Mein Nachrichtenkonsum hat sich radikal reduziert. Er ist trotzdem noch drei Mal so hoch wie bei den meisten anderen, glaube ich. Ich interessiere mich weiterhin sehr dafür, was auf der Welt los ist. Nur kommen die Nachrichten jetzt zu mir.

Manchmal, aber immer weniger, mache ich noch eine App auf. Dann stolpere ich über den dritten Weiterdreher zu einem Thema, von dem ich wenig mitbekommen habe und daher nichts verstehe, und muss mich durch viele Artikel wühlen, die mich wenig interessieren.

Lieber sind mir Nuzzel, Newsletter und Podcasts. Das sind meine drei wichtigsten Quellen um auf dem Laufenden zu bleiben.

Nuzzel ist eine großartige App, mit der ich jeden Abend etwa eine Stunde verbringe. Sie zeigt mir, welche Artikel am häufigsten in meiner Timeline auf Twitter geteilt wurden (oder in der von anderen Usern oder Listen, die ich mir erstellt habe). Es ist quasi eine perfekt auf meine Interessen zugeschnittene Zeitung.

Newsletter landen im Stundentakt in meiner Inbox. Die New York Times meldet sich bei mir, wenn es Neues über den Klimawandel (Climate Fwd), Außenpolitik (The Interpreter) und Tipps fürs Leben gibt (Smarter Living), die Financial Times schreibt mir, was sich in Lateinamerika tut (LatAm Vida), der Chefredakteur des Wall Street Journal ordnet die zehn wichtigsten Geschichten des Tages ein (The 10-Point).

Podcasts höre ich jeden Tag. Die Leute von Vox.com diskutieren über Entwicklungen in den USA, Slate über Wirtschaft und die Finanzwelt, der Guardian liefert mir neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft in meine Podcasting-App, Monocle tiefe Analysen über die Weltpolitik.

Es ist nicht so, dass es hierzulande nicht auch Ausnahmen gäbe. Der Standard meldet sich jeden Tag via WhatsApp, er hat einen guten Politik-Newsletter, der Falter einen grandiosen Podcast. Über Nuzzel stoße ich immer wieder auf Geschichten von Standard oder Kurier, die viel geteilt werden.

Gleichzeitig gibt es ein paar Journalisten, die mich immer wieder in ihr Medium ziehen. Florian Klenk bringt mich mit seinen Facebook-Posts dazu, jedes Mal zum Falter zu greifen. Armin Wolf lässt mich durch seine Tweets manchmal sogar den Fernseher aufdrehen.

Aber unter dem Strich – jetzt mal ehrlich – soll das alles sein?

Profil, wo bist du? Ich habe dich bis vor kurzem jede Woche gelesen, aber jetzt seit fünf Monaten nichts mehr von dir gehört. Das ist schade.

Presse, ich liebe dich! Ehrlich, ich bin ein Riesenfan! Aber ich habe keine Lust, auf deine Seite zu schauen. Melde dich doch mal bei mir.

Ö1, ihr habt die besten Radiosendungen weit und breit! Aber fast nichts davon lässt sich über meine Podcast-App hören. Extra in die App zu gehen ist mir fast immer zu mühsam. Ich höre fünf Mal so häufig den Deutschlandfunk wie euch. Sie machen es mir einfacher.

ORF, ich bin mir sicher, du steckst voller toller Sendungen und Filme. Und ganz ehrlich, ich hätte gerade auch die Zeit, sie mir anzusehen. Aber ich kriege ganz selten etwas von dir mit.

Ok, ich weiß schon, was ihr jetzt denkt. Schau doch einfach auf unsere Seite. Kauf dir das Magazin. Such doch. So schwer ist das nicht.

Leider, doch. Zugegeben, ich bin ein fauler Sack. Aber die Welt ist voller fauler Säcke. Viele in meinem Alter ticken ähnlich. Ein Klick zu viel ist einer zu viel. Mir reicht oft schon, dass ich mich auf diepresse.com einloggen muss, und ich bin wieder weg.

All die faulen Säcke sind eure potenziellen Kunden. Für die ihr heute viel zu wenig tut.

Wenn ihr wollt, dass ich euch lese, höre oder sehe, müsst ihr schon zu mir kommen.

I miss you.

Bild-Copyright: Markus Hein / pixelio.de

15 Tipps für Podcasts, die euer Leben schöner machen

Nirgends passiert in der Medienbranche derzeit so viel wie in der Podcast-Szene. Daher aktualisiere ich meinen Beitrag mit Podcasts, die ich selbst gerne und regelmäßig höre und jedem empfehlen kann. Vier sind seit dem Vorjahr weggefallen, sieben neu dabei.

  1. Planet Money. Kaum etwas ist so langweilig wie klassischer Wirtschaftsjournalismus. Dass das nicht so sein muss, beweisen die Leute von Planet Money. Mein Lieblingspodcast.
  2. Freakonomics Radio. Ein Ökonom und ein Journalist erklären die Welt. Großartige Recherchen zu verschiedensten Themen, zum Beispiel: Wieso konsumieren wir eigentlich Nachrichten?
  3. Vox’s The Weeds. Ein wöchentlicher Podcast von Vox.com. Ezra Klein und Matthew Yglesias sprechen das Wichtigste der Woche aus Politik, Wirtschaft und Finanzen durch. Immer informativ.
  4. Ballverliebt. Tom Schaffer und Philipp Eitzinger reden über die Welt des Fußballs, über das Nationalteam und internationale Ligen. Erscheint leider viel zu unregelmäßig.
  5. Reply All. Ich bin kein Tech-Geek, aber dieser Podcast erzählt immer wieder großartige Geschichten von Dingen, über die ich wenig Ahnung habe. Was ist „npm“? Kein Schimmer, aber spannend!
  6. Slate Money. Das Slate-Pendant zum Vox-Podcast „The Weeds“. Hier reflektiert u.a. einer meiner Lieblingsjournalisten, Felix Salmon, über die vergangene Woche in der Wirtschafts- und Finanzwelt.
  7. Conversations with Tyler. Tyler Cowen ist einer der populärsten Wirtschaftsblogger und ein sehr vielseitiger Ökonom. Er bittet große Denker zu sich um über die Welt zu philosophieren.
  8. Econtalk. Ein sehr populäres, schon zehn Jahre altes Interview-Format von Russ Roberts. Der Ökonom interviewt über meist eine Stunde andere Ökonomen. Ein großartiges Nischenprodukt.
  9. radioWissen. Eine stinknormale Radiosendung des Bayrischen Rundfunks, die aber immer gut ist und Themen aufgreift, von denen man sonst nichts mitbekommt.
  10. S-Town. Der bis dato erfolgreichste (=am öftesten heruntergeladene) Podcast der Welt. Brian Reed erzählt die Geschichte eines verrückten Bürgers einer kleinen sch*** Stadt in Alabama.
  11. The Daily. Für die New York Times blickt der groß-, groß-, großartige Michael Barbaro täglich hinter die wichtigste Nachricht des Tages und lädt sich dazu Journalisten aus dem Haus ein.
  12. The Editors. Drei Journalisten des konservativen Magazins National Review diskutieren die wichtigsten Ereignisse der vergangenen Woche. Eine nicht-linksliberale Sicht auf Trump tut gut.
  13. Macro Musings. Noch ein Interview-Podcast, wieder ein Ökonom (David Beckworth), der Ökonomen interviewt. Toll, um zu lernen und schlaue Köpfe besser kennenzulernen.
  14. Recode Decode with Peter Kafka. Ein Medienjournalist, der ziemlich anstrengend ist, spricht mit Medienmenschen, die aber so interessant sind, dass sie das mehr als ausgleichen.
  15. Arseblog. Der Fußballblogger Andrew Mangan spricht mit dem Comedian James McNicholas über den tollsten Fußballclub der Welt: den FC Arsenal. Für mich der unterhaltsamste von allen.

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