Hat China schon gewonnen?

Mir kommen im deutschsprachigen Diskurs um den Konflikt zwischen den USA und China zu wenig außer-europäische und -amerikanische Stimmen vor. Nicht nur, aber auch deshalb, fand ich das Buch „Hat China schon gewonnen?“ des singapurischen Diplomaten und angesehenen Politikwissenschafter Kishore Mahbubani äußerst lesenswert.

Die USA hätten im Wettkampf mit China strategische Vorteile:

  • Die besten Köpfe weltweit wollen in die USA, viele CEOs sind Ausländer
  • Das Land hat die besten Universitäten der Welt
  • Das politische System hat mehr checks and balances
  • Die individualistische Kultur bringt extrem gute Individuen hervor
  • Der westlichen Zivilisation sind viele Länder kulturell tief verbunden

Sowohl China, als auch die USA haben in der Lesart Mahbubanis einen großen strategischen Fehler gemacht.

  1. Die politische Elite Chinas ließ zu, dass sich die US-Geschäftswelt vom Land entfremdete. Viel geistiges Eigentum wurde gestohlen, das Land agierte protektionistisch und sorgte zu wenig für Vertragssicherheit. Ein chinesisches Sprichworte besagt: Die Berge sind hoch und der Kaiser ist weit. Die Provinzen, nicht Peking, machen die Wirtschaftspolitik. Das verärgerte US-amerikanische Unternehmen immer mehr. Damit hat China weniger Einfluss in den USA, denn US-Konzerne fehlten deshalb etwa als Opposition gegen Strafzölle in der Trump-Ära, die auch unter Biden fortbestehen.
  2. Die US-Elite hat keine langfristige Strategie für den Umgang mit dem Aufstieg Chinas. Stattdessen glauben viele, die USA würden ewig Nummer eins bleiben. Der US-Dollar wird als Waffe eingesetzt, etwa bei den Sanktionen gegen den Iran. Das untergrabt den Dollar als globale Leitwährung und schmälert langfristig den Einfluss der USA. Die Welt ändert sich gerade gewaltig und die US-Politik, so analysiert Mahbubani, ignoriert das so wie die Qing-Dynastie im 19. Jahrhundert. Damals fiel China hinter die USA und Europa zurück.

Beim Umgang mit einem geopolitisch und -ökonomisch immer mächtigeren China rät er zu Gelassenheit.

  • China ist weniger militaristisch als die USA. Soldaten sind in den USA viel angesehener als in China
  • China war in seiner Geschichte kaum expansionistisch
  • China hat nicht den Anspruch, die Welt chinesisch zu machen und chinesische Werte zu exportieren, anders als die USA
  • China ist das einzige Land im UN-Sicherheitsrat, das nach dem Zweiten Weltkrieg keinen Krieg außerhalb der eigenen Grenzen führte

Zum Umgang mit Taiwan, Hongkong und Tibet:

  • Xinjiang, Taiwan und Tibet vergleicht Mahbubani mit Kalifornien und Texas. Die seien auch von den USA besetzt worden und keiner würde erwarten, dass die USA die beiden Gebiete abgebe.
  • Taiwan war bis 1894/95 chinesisch, bis China von Japan im Krieg gedemütigt wurde und das Gebiet abgeben musste
  • Nach dem Ersten Weltkrieg wurde China vom Westen zugesagt, Taiwan wieder zurück zu bekommen. Das Versprechen wurde nicht eingehalten
  • 1972 näherte Kissinger die USA und China wieder an und die beiden Länder gaben eine gemeinsame Erklärung ab, dass Taiwan Teil von China ist und man sinch für ein friedliches Zusammenfinden der Chinesen einsetze
  • Indien ist in der ehemals portugiesischen Kolonie Goa einmarschiert. Die USA unter Reagan in Grenada. China verhielt sich bei Hongkong für eine Großmacht relativ zurückhaltend

Wäre eine chinesische Demokratie für die USA besser?

  • Xi zügelt den chinesischen Nationalismus. Das Land ist geopolitsch zurückhaltend
  • Ein demokratisch gewählter Führer wäre gewiss interventionistischer als Xi
  • Die Kommunistische Partei in China regiert so gut wie nie zuvor in China regiert wurde
  • Die KP stellt globale öffentliche Güter bereit: China ist stabil und als aufstrebende Großmacht nicht imperialistisch, das ist ein historisches Novum
  • Anders als die USA unter Trump macht China verantwortungsvolle Klimapolitik
  • US-Staatsbürger haben definitiv mehr individuelle Rechte als chinesische. Ob die Bevölkerung in der US-Demokratie aber mehr Einfluss auf die Politik nehmen kann als in der chinesischen Autokratie ist unklar. Die USA seien eine starre, unflexible Plutokratie, China eine flexible Autokratie

Wie könnte eine Öffnung Chinas aussehen?

  • Ein Vorbild könnte Japan sein. Eine ebenfalls konservative Gesellschaft, die großen Wert auf Stabilität legt. Das Wahlsystem ist dem Westen nachempfungen, aber Japan wurde nach der Einführung der Demokratie trotzdem 50 Jahre durchgehend von einer einzigen Partei regiert

Große Leseempfehlung! Hier zum Buch.

Land ohne Halt und ohne Haltung

Es schlingert verloren durch die Zeiten. Weiß nicht mehr, was seine Essenz und seine Idee ist. Kein Gleichgewicht und keine Souveränität, keine Substanz und kein Kompass, Opportunität als geistige Richtschnur, die selbst ein Klavier im Parlament nicht mehr aushält, die tragenden Kräfte in Identitätskrisen gefangen, die FPÖ als rabiate Ventilpartei auf dem Sprung zu Platz eins.

Der Chefredakteur der Kleinen Zeitung, Hubert Patterer, seziert Österreich.

Der unselige Streit um die Frage, ob Österreichs Bundesheer in der Ukraine fern der Frontlinien rund um Schulen, Äckern und Kindergärten Minen entschärfen helfen solle, weil verstümmelte Kinder und Bauern Sani-Kräfte binden, passt ins Außenbild eines unsolidarischen, duckmäuserischen, auf den Vorteil bedachten Kleinstaats. Die Regierung stellte gestern klar, man werde keine Spezialisten entsenden, man sei neutral. Man sagte es in einem Tonfall, der so wirkte, als sei man geradezu stolz auf die Festlegung. Politische Mimikry aus Angst vor der FPÖ und Herbert Kickl. Und den goldenen Flügel verräumt man auch gleich aus ängstlicher Prinzipienlosigkeit.

„Die Art, wie unter Kurz I regiert wurde, war ein erster Weg in eine andere Staatsform.“

Sagte der ehemalige Justizminister Clemens Jabloner im Vorjahr und führt drei Punkte als Beispiel dafür an:

  • Der Überfall auf das Bundesamt für Verfassungsschutz (inklusive Versagen von Staatsanwaltschaft und Strafjustiz),
  • die Kürzung der Familienbeihilfe für Ausländer, die klar EU-Recht widersprach und trotzdem einfach durchgedrückt wurde,
  • die Steuerakte Sigi Wolf, der sich zur Behandlung seiner Steuersache mit einer Abteilungsleiterin des Finanzministeriums in einer Raststätte traf.

Das Profil hat die Aussage hier ausführlich zitiert.

Benko, Raiffeisen, Mateschitz und Co wollen nicht zufällig Medien besitzen

Many Turkish news outlets are owned by pro-Erdogan businessmen, ensuring that they provided a steady stream of exultant coverage, with little attention paid to corruption allegations or government mistakes. The government has forced some news organizations critical of it to shut down, fined others for their coverage, and prosecuted some journalists. The group Reporters Without Borders ranks Turkey 165th in press freedom out of 180 countries it grades.

New York Times

Der Text dazu in der New York Times. Auch in Ungarn wurden die Medien dafür benutzt, die Autokratie Orbans auszubauen.

Chinas Aufstieg und seine Demografie

China’s workforce has already peaked, according to official statistics. It has 4.5 times as many 15- to 64-year-olds as America. By mid-century it will have only 3.4 times as many, according to the un’s “median” forecast. By the end of the century the ratio will drop to 1.7.

Wann überholt China die USA wirtschaftlich? Später, als gedacht oder vielleicht auch gar nie, scheinen immer mehr zu denken. Sehr lesenswerter Text dazu im Economist.

Senken Luxuswohnungen die Mieten für Normalverdiener? (Ja.)

Die meisten Menschen wollen günstigen Wohnraum. Was wirklich gebaut wird ist für viele von ihnen aber nicht leistbar. Darum, so das Argument, sind Neubauten nicht die Lösung für zu hohe Mieten.

Drei Wissenschafterinnen von der New York University sind diesem Argument nachgegangen – und haben die wissenschaftliche Literatur zusammengefasst (Stand 2018, der Link zur Studie).

Hält das Argument?

Nein, nicht wirklich, auch wenn es einen wahren Kern hat.

Der freie Markt sorgt nicht für genügend leistbare Wohnungen für Menschen mit niedrigen Einkommen. Das ist korrekt und deshalb braucht es Förderungen, Wohnbeihilfen und sozialen Wohnbau.

Aber: Wohnungen, die für den freien Markt gebaut werden, senken sehr wohl die Mietpreise für den gesamten Wohnungsmarkt, schreiben die drei. Dafür gibt es sehr gute Evidenz.

Dort, wo es mehr Hürden für Neubauten und deshalb weniger davon gibt, sind die Mietpreise höher. Eine Übersichtsarbeit aus 2015 zeigt, dass dort, wo der Wohnungsmarkt stärker reguliert ist, weniger gebaut wird und die Mietpreise höher sind.

Das Problem ist, dass die Art und Weise, wie freifinanzierte Wohnungen die Mieten senken, auf den ersten Blick nicht intuitiv ist.

Mieten steigen u.a., weil viele Menschen an einem Ort wohnen wollen. Viele Menschen ziehen hin und deshalb wird dort auch mehr gebaut. Die Mieten steigen also oft genau dort, wo viel gebaut wird. Das ist aber Korrelation, nicht Kausalität.

Denn was sich leider nicht mit freiem Auge beobachten lässt: Um wie viel mehr die Mieten gestiegen wären, wenn nicht mehr gebaut worden wäre. Neubauten dämpfen oft die Entwicklung der Mietpreise, senken sie aber nicht.

Wohnungsmärkte sind speziell. Sie funktionieren anders als etwa Märkte für Kartoffeln. Die drei schreiben, dass es in einer Stadt nicht einen Wohnungsmarkt gäbe, sondern dass man sich eher verschiedene Wohnungssubmärkte vorstellen müsse.

Vereinfacht: Einer für Besserverdiener, einer für die Mittelschicht, einer für Menschen mit niedrigen Einkommen. Jeder dieser Märkte hat ein eigenes Angebot an Wohnungen, eine Nachfrage und auch einen eigenen Preis (= Miete).

Wohnungen, die für den freien Markt errichtet werden, sind meistens für Besserverdiener gedacht, weil die Errichtung teuer ist. Mehr Neubauten erhöhen also direkt nur das Angebot an Wohnungen im oberen Segment – und dämpfen dort die Mietpreisentwicklung.

Und was hat jetzt jemand im mittleren oder unteren Wohnungsmarkt davon? Die Märkte sind nicht voneinander getrennt, sondern sie beeinflussen sich gegenseitig.

Stellen wir uns eine Stadt vor, in der keine neuen Wohnungen für Besserverdiener gebaut werden, in der aber mehr Menschen mit guten Einkommen ziehen. Im oberen Wohnungsmarkt steigen also die Mieten stärker, als wenn das Angebot gestiegen wäre. Angebot und Nachfrage eben.

Für manche Gutverdiener wird das zu teuer und sie schauen sich nach leistbareren Wohnungen im mittleren Segment um – und treiben damit auch dort die Preise nach oben.

Mittelfristig sinkt auch das Angebot an „mittleren“ Wohnungen: Denn die höheren Preise für die „guten“ Wohnungen sind ein Anreiz, ältere Wohnungen so zu sanieren, dass man in diesen Markt kommt. Das entzieht also den anderen Segmenten Angebot und lässt den Preis steigen.

Langfristig dämpfen die neuen Wohnungen ebenfalls die Mietpreise. Denn eine Wohnung, die heute neu und hipp ist, ist das in 30 oder 40 Jahren tendenziell nicht mehr. Die heute teuren Wohnungen werden also mit der Zeit auch für untere Einkommensschichten leistbar.

Das gilt natürlich nicht für jede Luxuswohnung, aber allgemein hält das. Das ist nicht nur Theorie, sondern dafür gibt es gute Evidenz durch empirische Studien. Eine zeigt etwa, dass ein Viertel der 2013 für die ärmsten US-Amerikaner leistbaren Wohnungen 30 Jahre zuvor Wohnungen für Bessersituierte waren.

Auch wenn nur Luxus-Wohnungen gebaut werden, profitieren „Normalos“ also davon.

Das heißt aber nicht, dass der freie Markt alles löst. Für die Menschen mit den niedrigsten Einkommen braucht es staatliche Hilfe, damit sie sich das Wohnen leisten können.

In der Studie wird empfohlen: Auflagen für Immobilienentwickler. Wenn sie für den freien Markt bauen, müssen sie gleichzeitig leistbarere Wohnungen errichten. Genau das passiert in Wien.

Am Ende noch ein wichtiger Aspekt: Es ist selbsterklärend, warum es gut ist, dass die Mieten nicht zu hoch sind. Niedrigere Mieten in Ballungszentren vermeiden aber auch andere negative Effekte.

Je höher die Mieten in der Stadt, desto mehr Menschen ziehen aufs Land oder in die Vororte. Das führt zu mehr Verkehr und anderen Umweltschäden. Außerdem gibt es Netzwerkeffekte in Städten, die für unseren Wohlstand gut sind.

Wenn viele schlaue Menschen an einem Ort sind, entsehen meistens gute Dinge. Zieht jemand nicht in eine Stadt, weil sie sich das nicht leisten kann, nimmt das Menschen die Freiheit, ihr Leben so zu leben, wie sie das gerne würden.

Warum Unternehmer Übergewinne machen

Mein Kollege András Szigetvari hat ein hochinteressantes Interview mit der Ökonomin Isabella Weber geführt. Auf einem kompetitiven Markt können Unternehmen normalerweise nicht einfach die Preise erhöhen, ohne einen Mehrwert anzubieten. Ansonsten gehen die Kund:innen einfach zum nächstbesten Anbieter. Der Energiepreisschock hat das aber auf den Kopf gestellt, sagt Weber.

Jeder Unternehmer weiß, dass auch die anderen den gleichen Kostenschock durchleben, und erwartet deshalb, dass alle mit einer Preissteigerung auf diese Situation reagieren. Also müssen Unternehmen nicht fürchten, Marktanteile an ihre Konkurrenten zu verlieren, selbst wenn sie ihre Preise erhöhen. Aber da sind noch andere Mechanismen am Werk.

Noch ein Effekt kam dazu: Wenn Konsumenten erwarten, dass die Preise steigen, kann man sie gleich noch ein bisschen mehr erhöhen, ohne sie zu verärgern.

Preissteigerungen sind Teil einer sozialen Beziehung zwischen Unternehmen und ihren Kunden. Wenn die Teuerung aus dem Nichts entsteht, dann reagieren Kunden frustriert und wandern zur Konkurrenz ab. Wenn aber die Preissteigerungen legitim erscheinen, weil man jeden Tag in den Nachrichten hört, dass die Energiekosten so stark gestiegen sind, dann verändert das die Nachfrage-Elastizität, wie Ökonomen sagen.

Ein weiterer Effekt kam dazu: Durch die Lieferkettenprobleme und die Engpässe bei Mikrochips war es für viele Unternehmer schwierig, den bisherigen Kundenstamm zu bedienen. Darum strömten sie weniger in neue Territorien aus, was den Wettbewerb senkte, so Weber: Temporäre Monopole.

Lest hier das ganze, hochinteressante Interview.

Wie wir unseren Planeten (nicht) retten

Ich habe How to Save Our Planet: The Facts von Mark Maslin gelesen. Eine kurze Rezension.

Das erste Drittel des Buchs ist lesenswert. Ich mochte den kurzen, peppigen Stil. Das ist der Teil, in dem Mark Maslin, Professor für Earth System Science am University College in London, Expertise hat: Klimaveränderungen.

Je mehr das Buch auf politische, gesellschaftliche, ökonomische Lösungen eingeht, desto beliebiger wird es.

Kein Eingehen auf trade-offs, darauf, wie politische Allianzen geschmiedet und soziale Normen verändert werden können.

Außer für ein paar Ölkonzerne, die Reformen blockieren, ist in der Lesart Maslins alles ein schlichtes „win win“.

Keine Pfadabhängigkeit beim Pendlerverkehr, keine Bürgerproteste, wenn Parkplätze weg kommen, kein Aufschreien, wenn Energie teurer und Subventionen abgeschafft werden.

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Was weißt du über Victor Adler?

Robert Misik hat ein Buch über Victor Adler geschrieben. Das ist schon sieben Jahre her. Aber wie alle Bücher von Misik ist auch dieses stilistisch toll verfasst.

Es bietet eine kurze Einführung in das Leben und Wirken Adlers, einem Politiker, der die Sozialdemokratie und damit Österreich prägte, dessen Geschichte aber weithin unbekannt ist – auch mir.

Ich hätte mir noch 300, 400 Seiten mehr gewünscht, für Politik- und Geschichteinteressierte aber auch so ein Lesetipp!

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