Alles wird immer schlimmer? Augen auf! Das Wunder von Medellín

Ich möchte euch eine kleine Geschichte erzählen. Eigentlich habe ich das für einen Artikel im STANDARD recherchiert, weil sich der aber nicht mehr ordentlich ausgeht, poste ich es hier.

Das vergangene Monat habe ich in Medellín verbracht, der zweitgrößten Stadt Kolumbiens. Sie ist ein kleines Wunder der Stadtplanung, über das ich ein paar Worte da lassen will.

Die Stadt war vor 30 Jahren einer der gefährlichsten Plätze der Welt. Das TIME-Magazin hat sie 1988 zur gefährlichsten Stadt der Welt „gekürt“ (https://is.gd/s6PUcl). Heute ist sie um Welten sicherer.

Das ist nicht nur großartig für die, die dort wohnen, sondern für die ganze Welt. Überall in ärmeren Ländern wachsen Megacities, sie in den Griff zu bekommen macht die Welt sicherer und das Leben von Millionen Menschen besser. Medellín kann ein Vorbild sein.

Wer Narcos gesehen hat, weiß: Medellín war die Hölle. 1991, am Höhepunkt von Escobars Krieg gegen den Staat, starben dort in etwa so viele Leute wie in einem Bürgerkrieg. Überträgt man die Mordrate auf Wien, wäre das so, als würden 7.000 Menschen im Jahr umgebracht.

Mithilfe der USA – deren Kokainrausch das Problem erst mitverursacht hat – wurde Escobar 1993 aufgespürt und erschossen. Weil wir im Westen nicht auf Kokain verzichten wollen, haben leider mexikanische Kartelle das Vakuum gefüllt und richten jetzt dort Regionen zugrunde.

Kolumbien ist aber halbwegs fein raus. 2002 gelang dann der nächste große Meilenstein, mit seiner Law&Order-Politik hat Álvaro Uribe die Guerilla FARC in die Schranken verwiesen. Nach langen Verhandlungen kandidieren ehemalige Guerilla jetzt für das Parlament.

Gleichzeitig übernimmt Medellín innovative Ideen aus Cali, der drittgrößten Stadt Kolumbiens, die ähnlich mit Gewalt kämpfte. Ein Wissenschafter, er war Epidemologe, wurde Bürgermeister und stellt die Politik der Stadt auf den Kopf.

Eine seiner ersten Taten: der Aufbau ordentlicher Statistiken. Er stellte fest, die Gewalt lag nicht nur an den Drogen, Morde passierten vor allem am Wochenende, nachts, meist war Alkohol im Spiel. Also wurde der Ausschank von Alkohol nach 2am verboten.

Es gab natürlich riesige Proteste der Gastronomie, der Bürgermeister bot einen Deal an. Lasst mich das drei Monate probieren, dann schauen wir weiter. Die Mordraten sank binnen kürzester Zeit enorm. An Tagen, an dem die Leute ihren Lohn kriegten, wurden außerdem Waffen verboten. Alleine aufgrund dieser zwei Maßnahmen sank die Kriminalität um 35 Prozent! (https://is.gd/6QuiNN)

Danach brachte der neue Bürgermeister die Polizei auf Vordermann. Viele kamen aus der Unterschicht, in den 90ern hatte die Hälfte keinen Schulabschluss. Das änderte er – die Effektivität der Truppe stieg enorm, Statistiken wurden zentral für die tägliche Arbeit.

Aber nicht nur Law&Order, mehr und bessere Polizei und null Toleranz gegenüber Kartellen, sondern erst die Kombination mit starker, staatlicher Sozial- und Kommunalpolitik sorgte dafür, dass die Stadt heute da steht, wo sie steht.

2004 wird in Medellín eine Seilbahn in Betrieb genommen. Es leben zwar “nur” 3,5 Millionen Leute da, aber sie sind enorm verstreut, die Armen bauten sich illegal Hütten auf die angrenzenden Berge. Die wurden mit der Seilbahn nun mit den besseren Vierteln verbunden. Einer Studie zufolge (https://is.gd/b60BDQ) ist die Kriminalität in den Regionen, die plötzlich Teil der Stadt waren, um 66 Prozent stärker gesunken als in jenen, die weiter abgelegen und schwer erreichbar waren.

Gleichzeitig werden ärmere Viertel aufgewertet, öffentliche Parks gebaut, kostenlose Bibliotheken hingestellt, eine ordentliche Beleuchtung installiert. Ein Gesetz verpflichtet den staatlichen Dienstleister, auch illegale Slums mit sauberem Wasser und Strom zu versorgen.

Zwischenzeitlich verschlechterte sich die Lage wieder. Die ZEIT schrieb 2009 (https://is.gd/IeelQl) es sei wohl nur mehr eine Frage der Zeit, bis Reisen nach Kolumbien wieder lebensgefährlich werden. Seither ist die Mordrate in Medellín erneut um 80% gefallen.

Heute ist Medellín eine sehr lebenswerte Stadt, in der viele Expats arbeiten, die das billige Leben und das das ganze Jahr über tolle Wetter genießen. Natürlich gibt es noch viel Armut und es ist um Welten unsicherer als etwa Wien. Aber es ist so viel besser geworden.

Medellin ist das krasse Symbol einer positiven Entwicklung, die in vielen Teilen der Welt um sich greift, von den meisten Menschen im Westen aber fast unbemerkt bleibt. Es gibt immer weniger Armut, Gewalt, die Leute sind gesünder und besser gebildet. Feiern wir das doch mal!